Re: ROLLING STONE: April 2014

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Anonym
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AnitaIch halte die Ramones für überschätzt. Dass viele andere sie für relevant halten, kann ich nicht ändern. […] Kein Mensch stellt in Frage, dass sie eine immense Wirkung hatten, aber das ist für mich kein Qualitätskriterium.

Danke für die Klarstellung. Und dieser Standpunkt ist meiner Meinung nach – und im Gegensatz zur Meinung anderer hier – vollkommen legitim. Selbstverständlich muss es möglich und erlaubt sein (nein: Es ist sogar sinnvoll), sich gegen gängige Kanonisierungen zu wenden. Jeder Kanon ist immer zeitgebunden – die Literaturgeschichte wimmelt von Autoren, die in ihrer Zeit oder in den ersten 20 Jahren nach ihrem Tod einflussreich, erfolgreich und stilbildend waren, während sie heute kaum einer mehr kennt. Und andere führten ein marg9inales Dasein, bis sie irgendwann entdeckt und posthum gar massenwirksam wurden. Den Kanon hinterfragen, goldene Kälber schlachten, Vergessene und Unterschätzte rehabilitieren – meine Güte, wo kämen wir denn da hin, wenn wir das abschaffen würden! Das wäre ja der Tod des Forums.

Am Falle Sgt. Pepper haben wir das hier doch oft genug durchdiskutiert: Dass die Platte einflussreich und stilbildend, in diesem Sinne also „relevant“ war (ob sie es aktuell ist, darüber kann man schon wieder geteilter Meinung sein), bestreitet niemand. Ob diese Relevanz begrüßenswert oder der Einfluss unselig ist – darüber tobt die Debatte, seit ich in diesem Forum bin. Es empfiehlt sich also dringend, die beiden Ebenen methodologisch sauber auseinanderzuhalten:

Einerseits „Relevanz“ im Sinne von historischer Bedeutsamkeit als Stilvorbild und Einflussgröße. Das kann man zumindest ansatzweise objektiv zu beleuchten versuchen, indem man empirisch klärt, wieviele Bands sich zum Beispiel explizit auf die Ramones berufen oder implizit als Gefolgsleute identzifizierbar sind, weil sie ähnliche Stilmittel verwenden.

Andererseits „Qualität“, was eine immer diskutable Kategorie ist. Hier gibt es – ich kann’s nicht oft genug betonen – keine, keine, keine und nochmal keine Möglichkeit der Okjektivierung. Musikalische Qualität ist nicht objektiv messbar, Ausrufezeichen – selbst wenn man sich auf den Kopf stellt, mit den Ohren wackelt und „doch, doch, doch!“ ruft.

Was sich allenfalls herauskristallisieren kann, ist so eine Art intersubjektiver Konsens, eine Mehrheitstendenz, ein begründbares Expertenurteil – aber in Stein gemeißelt ist das niemals. Künstler haben Konjunkturen, mal gelten sie als kanonisiert, dann wieder verschiebt sich die Stimmung hin zu einer kritischeren Einordnung, dann kommen wieder irgendwelche Leute und prägen den Kanon erneut um. So mäandert das vor sich hin.

In diesem Sinne: Die Ramones sind relevant. Punkt. Alles andere ist umstritten.

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