Re: Motown – Hits vom Fließband

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go1
Gang of One

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bullschuetzSelbst wenn diese Leute alle nicht unterm Dach dieser Firma zusammengekommen wären (…), sondern „einfach irgendwie so“ – sie hätten mit Sicherheit eine andere Musik gemacht.

Das versteht sich von selbst. Aber sie wären nicht weniger kreativ gewesen und hätten nicht weniger gute Kunst geschaffen (wahrscheinlich aber weniger schlechte – siehe oben).

bullschuetz…was ich mir schlechterdings nicht vorzustellen vermag, weil Motown ja gerade der erfolgversprechende und potente Fixstern war, der diese Talente anzog und teilweise entdeckte

Die Umstände damals in Detroit waren eben so – aber es ist leicht, sich andere Umstände vorzustellen, die gleichartige Wirkungen gehabt hätten. Der Sache nach kommt es darauf an, einen Anziehungspunkt für Talente zu schaffen, mit Arbeits- und Entwicklungsmöglichkeiten und einem Lebensunterhalt – und vor allem mit der nötigen Infrastruktur für künstlerische Kooperationen. Man hätte all die Talente genauso anziehen können, wenn die Mittel dafür aus öffentlichen Händen gekommen wären oder von privaten Stiftungen.

Der Hauptpunkt bleibt, dass es die versammelten Talente selbst sind, die das Kunstschaffen möglich machen, ihre Fähigkeit zur gemeinsamen künstlerischen oder unterstützenden Arbeit – und nicht Gewinnstreben und ökonomisches Kalkül. Das gilt allgemein, also auch im Falle Motown. Über dessen Besonderheiten können wir uns gerne bei anderer Gelegenheit unterhalten. Oder besser gesagt: Ich werde gerne lesen, was Du dazu zu sagen hast.

Nachtrag:

bullschuetzDass es nicht ohne Talent geht, gilt für jede Musik. Den Satz setze ich mal als Binsenweisheit voraus – danach aber wird es bei Motown erst richtig spannend, wenn man sich nämlich fragt: Inwiefern war die spezielle Motown-Struktur ambitionsermöglichend, talentfördernd, katalysierend etc pp? Und inwiefern war sie beengend, talentausbeuterisch, kreativitätsformatierend etc pp?

Diese Frage hast Du mit Deinen Hinweisen oben eigentlich schon selbst beantwortet: Die Motown-Struktur war insoweit kreativitätsfördernd, wie sie die Funktionen erfüllt hat, die allgemein erfüllt sein müssen, um ein solches Kunstschaffen zu ermöglichen, nämlich:
– mannigfache Talente anzuziehen und zu versammeln,
– ihnen Zugang zu Produktions- und Lebensmitteln zu verschaffen und
– Kooperationen zwischen Künstlern, die zueinander passen, zu ermöglichen.
Diese Funktionen hätten aber auf andere Weise als bei Motown genauso gut oder sogar besser erfüllt werden können. Und natürlich verdankt sich das, was bei Motown geleistet worden ist, nicht einer ominösen „Struktur“, sondern der Arbeit der Leute dort – der Künstler und derjenigen, die sich um die Organisation gekümmert haben.

Ansonsten war so ziemlich alles an Motown „kreativitätsformatierend“ – und das gilt besonders für die kommerziellen Ambitionen des Unternehmens. Der Versuch, mittels Produktion von Kulturwaren aus Geld mehr Geld zu machen – der kunstfremde Zweck -, garantiert, dass die genannten Funktionen nur unvollkommen erfüllt werden und die Förderung der Künstler untrennbar mit Nachteilen für sie verwoben ist – ein paar davon hast Du selbst genannt (das zum Abschluss mal als These von meiner Seite aus).

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