Re: Motown – Hits vom Fließband

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go1
Gang of One

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nail75Deine obige Sichtweise halte ich nicht nur für einseitig, sondern in dieser Absolutheit für falsch. Wenn man sich anhört, was Musiker zustandebringen, die sich keine Produzenten leisten können, dann ist es häufig so, dass die zusätzliche Freiheit ihnen keineswegs immer guttut.

Du musst da schon den Kontext berücksichtigen, in dem meine Aussage steht. Ich widerspreche damit der These, „dass (…) ökonomisches Kalkül, Streben nach Gewinn, Marktdruck usw. … das Kunstschaffen … überhaupt erst möglich gemacht haben“. Und der folgende Satz führt ein Beispiel an, worin die größere Freiheit bestanden haben könnte: „Sie hätten dann jedenfalls weniger Konfektionsware produziert und weniger Zeit mit der Ausbeutung von Erfolgsformeln verschwendet.“ Ich meine nämlich schon, dass künstlerisches Talent hier nicht nur entwickelt, sondern teilweise auch verschwendet worden ist.

„Künstlerische Freiheit“ heißt nach meinem Verständnis, dass die Künstler keinen anderen Imperativen als eben künstlerischen folgen müssen. Von Launen und Eitelkeiten ist das wohl zu unterscheiden. Wenn es, wie in Deinem Beispiel, der Produzent ist, der die künstlerische Stimmigkeit gegen den Geltungsdrang eines einzelnen Musikers durchsetzt, heißt das nur, dass auch er ein Teil des Kollektivs ist, das die infragestehende Leistung erbringt.

Fähige Künstler sind übrigens auch fähig, sich selbst die Einschränkungen aufzuerlegen, die für ihr jeweiliges Vorhaben förderlich sind. Wie heißt es bei Goethe:

F: Was fang ich mit der Regel an?
A: Du stellst sie auf und folgst ihr dann.

nail75Popmusik ist ohne Kommerz nicht denkbar.

Diese Sichtweise halte ich nicht nur für einseitig, sondern in dieser Absolutheit für falsch. ;-) Denkbar ist das schon, nur noch nicht verwirklicht. Der bestehende Zustand ist aber nicht das Ende der Geschichte.

gypsy tail windIch glaube bloss, der zentrale Punkt ist weiterhin: trotz all den Bemühungen von Label-, Produzenten-, A&R-, Songwriter-Seite: ohne talentierte Musiker wäre nichts draus geworden. Das ist die Basis und ich denke das war es auch, worauf Go1 hinaus wollte.

So ähnlich. Es sind immer die versammelten Talente und Mühen einer bestimmten Kombination von Leuten, die die künstlerischen Leistungen möglich machen (und nicht das Gewinnstreben oder das ökonomische Kalkül). Zu dieser Kombination von Leuten (nennen wir sie: „das Kollektiv“) zählen in erster Linie die talentierten Musiker, Songschreiber und Produzenten, im weiteren Sinne aber auch die „facilitators“, die dazu beitragen, dass die richtigen Musiker zusammenkommen und ein Umfeld vorfinden, in dem sie schöpferisch tätig sein können, die jeweiligen „Musen“ usw. Mit diesem Hinweis hat Bullschuetz völlig recht – nur ist das gar kein Argument für seine These!

Der Denkfehler geht so: Ein Kollektiv von Leuten erbringt durch die Kombination ihrer Tätigkeiten bestimmte Leistungen – und weil es eine Firma war (ein „Einzelkapital“), die diese Leute zusammengebracht hat, zum Zwecke des Geschäftemachens, schreibt man die Leistungen nun fälschlicherweise der Firma zu (dem Kapital) oder gar dem Zweck, aus Geld mehr Geld zu machen. Dabei ist es immer nur das Kollektiv, das die Leistungen erbringt, die Leute, die da arbeiten und musizieren – und diese Leute könnten genauso auch ohne den Geschäftszweck zusammenarbeiten und ihre Talente verwirklichen. Die sachliche Voraussetzung ist nur, dass sie an die nötigen Produktions- und Lebensmittel herankommen.

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To Hell with Poverty