Re: Motown – Hits vom Fließband

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go1
Gang of One

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bullschuetzDer radikal spannendere Fall, den ich weiter oben mehrmals anzureißen versucht habe, ist Motown. Denn da scheint es mir so gewesen zu sein, dass (…) „ökonomisches Kalkül, Streben nach Gewinn, Marktdruck usw. kunstfremde Faktoren waren, die das Kunstschaffen“ … in dieser irren Dichte sowohl fulminant erfolgreicher als auch qualitativ phantastischer und teilweise künstlerisch innovativer Aufnahmen überhaupt erst möglich gemacht haben.

Dass es so sein könnte, wollen wir alle natürlich gar nicht hören, weshalb ich Motown sowohl „faszinierend“ als auch „provozierend“ genannt habe.

Wenn „wir“ (Wer?) das „nicht hören wollen“, liegt das vielleicht daran, dass die Behauptung gar nicht stimmt…

Eigentlich weiß ich zu wenig über Motown, um dieses Beispiel zu diskutieren – ich bin im Unterschied zu Dir kein Motown-Fan. Aber ich will die Antwort nicht schuldig bleiben (obwohl sie nicht hierher gehört) und werfe provisorisch ein paar Antithesen hin:

Erstens übertreibst Du: Bei aller Begeisterung über die geliebten Motown-Klassiker sollte man nicht vergessen, dass der Output dieser Pop-Manufaktur zu einem Großteil „product“ war – Qualitätsprodukt zwar, weil gute Songschreiber, gute Musiker und gute Produzenten am Werk waren, aber nichts, worüber ich in Verzückung geraten würde. In meinen Ohren klingt da vieles lahm und dated.
Zweitens ist der großartige Teil der Produktion durch die versammelten Talente und Mühen der beteiligten Musiker möglich gemacht worden und durch nichts anderes. Diese Kombination von Leuten wäre womöglich unter anderen Umständen, ohne Kommerzdruck, noch kreativer (weil freier und abenteuerlustiger) gewesen – wie willst Du das ausschließen? Sie hätten dann jedenfalls weniger Konfektionsware produziert und weniger Zeit mit der Ausbeutung von Erfolgsformeln verschwendet.
Drittens hat der kommerzielle Zweck des Unternehmens den Rahmen dessen begrenzt, was bei Motown überhaupt möglich war. Die Kreativität der Künstler konnte sich in bestimmten Formen verwirklichen, in anderen aber nicht. Wer aus diesem Rahmen heraustreten wollte, musste darum kämpfen – was Energien gekostet hat, die andernfalls in die Kunst hätten fließen können.
Viertens ist auch das menschliche Leid nicht zu vergessen, das durch das Reglement und den Drill in der Pop-Manufaktur verursacht wurde (wie ich annehme – aber da müsste ich mich, wie gesagt, erst einlesen; vielleicht stimmt mein Vorurteil da nicht).
Aus all diesen Gründen halte ich Deine Ehrenrettung des Kommerzes für verfehlt. Freuen wir uns einfach darüber, dass eine beträchtliche Zahl großer Singles produziert worden ist.

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To Hell with Poverty