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RAMONA LISA: The lady’s got gills
Für eine vollständige Deutung des in Wahrheit sehr komplexen “Arcadia” fehlt mir derzeit die Zeit, aber ich mag jetzt einfach mal diesen magischen Track würdigen, der mich mehr fasziniert, wie alle anderen des Albums.
Auf ihrem Debüt lädt Caroline Polachek in ihre dekonstruierte Art Pop Welt – eine Reise in ein so faszinierend kunterbuntes, wie verwunschenes Märchenschloss. In „The lady’s got gills“ sprudelt ein Art entfremdetes Yangqin den Song an Land, ehe der Beat zu pulsieren beginnt und zahlreiche Stimmelemente anschwellen und im Sound gelöst zirkulieren – dieser musikalische „tide“ passt sehr gut zur Thematik des Songs, der uns an die Küste führt. Der Song beschreibt ohne genauen Umriss ein Gespräch, bei dem die Akteure unbekannt sind. „The lady’s got gills“ taucht hier als Schlüsselzeile im Refrain auf und beschreibt das Losgelöstsein – die Frau, die einstmals noch da war, ist dem Meer und der Ferne anheimgefallen; ihr sind Kiemen gewachsen und sie kehrt nicht mehr zurück. Polachek lässt hier offen, wer dieser „pretty friend“ ist, von dem sie mit einer anderen Person spricht – vielleicht ist sie es sogar selbst. Mich fasziniert die Art, wie hier „alltägliche“ Gefühle wie Trennung, Vermissen und Aufopferung in geheimnisvolle und völlig unverbrauchte Bilder gepackt werden – zentral bleibt die Frage, was man bereit ist zu geben, um eine Person wieder zum Hafen zu bringen. Lässt man die Geliebten gehen und wartet, bis sie die Gezeiten (die Zeit) zurücktreibt oder sperrt man sie im Badezimmer ein? Oder schwimmt man ihnen gar nach und ertrinkt? (Would you rather drown than say goodbye?)
Was mich besonders fasziniert ist, wie Polachek Stimmen als Stilelemente nutzt – hier trifft ihre klare und hinreißende Gesangsstimme auf Shouts im Background (ich verstehe immer „get you all“, weiß jemand mehr?), die quasi das Verlangen und die Unablässigkeit weiter unterstreichen. Und generell Gesang: Ich finde den Einsatz ihrer Stimme sehr eindrucksvoll. Im ersten Vers das „It gives me chills“, als Sinnbild für Abweisung, das von befreitem Pfeifen begleitet wird, der ganze Refrain, der so klar und bestimmt intoniert ist und von einem Solo beschlossen wird (ein Art Treiben auf Wasser, bei dem der Beat verlangsamt in Schwebe gehalten wird und dann von einem kleinen Strudel aus klackenden Effekten überströmt wird). Und zuletzt die Schmerzlichkeit von „Or learn how to hold your breath“, bei dem Polachek grell die Luft schneidet – denn vielleicht ist es eben nicht das Einsperren, das uns die Menschen nahe bringt, sondern der Moment, in dem man selbst den Atem anhält und sich unter Wasser begibt.
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Hold on Magnolia to that great highway moon