Re: Go Betweens Bright Yellow Bright Orange

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von der berthold seliger homepage:
Klaus Walter über das neue Album der Go-Betweens

Dies ist der Versuch, eine Liebe zu erklären. Dafür zahlt die Firma Clearspot XXX Euro. Ein Haufen Geld dafür, dass man an einem Samstagnachmittag vier, fünfmal hintereinander „Bright Yellow Bright Orange“ hört, der Sonne beim Verschwinden zuschaut und sich wieder selig mit sich selbst darauf einigt, dass die Go-Betweens etwas ganz besonderes sind; one thing greater than all the things that you are together, wie es in einem ihrer Songs heißt. Mehr als die Summe ihrer einzlenen Teile. Bei der Arbeit findet man andere Menschen, die davon genauso überzeugt sind. Martin Pesch zum Beispiel, der vor zwei Jahren in der taz behauptete, „The Friends of Rachel Worth“, das sogenannte Comeback -Album der Go-Betweens, sei bei einem Label herausgekommen, „betrieben von Leuten, die jeden Wetten-Dass-Wettbewerb gewinnen würden, in dem es darum geht, den Titel eines Go-Betweens-Stückes nach den jeweils rückwarts vorgespielten letzten vier Takten zu nennen.“ Ich wette dagegen. Trotzdem. Wer sie liebt, liebt sie sehr. Schon für das, was alles nicht vorkommt bei den Go-Betweens. Jugend zum Beispiel und Alter. Schon mit zwanzig gaben Robert Forster und Grant McLennan ihren Songs eine lebenskluge Melancholie; auch mit Mitte vierzig strahlen sie mit der Euphorie kleiner Jungs. Schon mit zwanzig schrieben sie Songs über die Dinge des Lebens. Robert: „Ich frage mich oft, warum andere das so wenig tun, das Leben ist doch nicht nur „Baby one more time Baby Baby Baby…“, jede halbwegs intelligente Person sollte doch in der Lage sein, einen Song über ein deutsches Bauernhaus zu schrieben oder über Patti Smith, oder über eine Buchhandlung.“ Also schrieben sie einen Song über die Clarke-Schwestern. Sie haben stahlgraues Haar, sie schlafen im Hinterzimmer eines feministischen Buchladens und die mittlere Schwester bekommt ihre Tage. Worte wie „feminist bookstore“ und „period blood“ gehen ihnen von der Hand wie anderen Popsongs Sonne, Mond und Sterne. Noch früher sangen sie über die Buchhändlerin Karen, die pubertierenden Jungs Hemingway, Genet, Brecht, Chandler und Joyce nahebringt und über die Schauspielerin Lee Remick, Partnerin von Gregory Peck in „Das Omen“. Eine Kreuzung aus den Monkees und Patti Smith schwebte ihnen vor: „The Monkees were pop and bad poetry. Patti Smith poetics and bad pop.“ Die Go-Betweens sind beides: Euphorie und Melancholie.

Bright Yellow Bright Orange – Song by Song

CAROLINE & I
Wie die ersten Akkorde das Tempo vorgeben für ein Album! Wie „Spring Rain“ pacesetting war für „Liberty Belle…“, oder „Bachelor Kisses“ für „Spring Hill Fair“, so richtet „Caroline & I“ den Raum ein für „Bright Yellow Bright Orange.“ Forster spiegelt sich gern in Frauenfiguren. Eine ältere Schauspielerin, eine erfahrene Buchhändlerin oder eine gleichaltrige Prinzessin. „Born in the very same year, Alive at a similar time“ wie Caroline. Auch wenn man nicht weiß oder nicht glauben mag, dass ein australischer Dandy in der Prinzessin von Monaco seine „teenage years“ wiedererkennt: dort oben mit den Carolines von Brian Wilson und Lou Reed.
„A pop classic“. Sagt Forster.

POISON IN THE WALLS
…the revolution never calls…“ oder: „called“…keine Ahnung was McLennan uns sagen will, aber ein Refrain wie die sonnigste Seite der Mamas & Papas mit komischen Worten. An wenigen wichtigen Stellen der Platte fällt die Orgel auf, ein room full of sound, aber sparsam eingerichtet.

MRS. MORGAN
…ist Wahrsagerin. „She never wanted to see the rain“, wie oft es regnet bei den Go-Betweens.
Wie die Eröffnung von „Sweet Jane“ den Raum (immer wieder: Raum) öffnet, dann die oooohs im Refrain, ich glaube, so haben sie noch nie zusammen gesungen…
Am Ende singt Grant „see the rain“, das reimt sich auf das nicht gesungene „Sweet Jane“ und Liebe ist in der Luft. Als „The Friends Of Rachel Worth“ rauskam habe ich sie nach der sexuellen Uneindeutigkeit der Go-Betweens gefragt. Darauf Grant: „Robert und ich sind in Brisbane aufgewachsen, das war Mitte der 70er dominiert von einer Machokultur, langweilig, uninspiriert, junge Männer im Pub, Fußball, wie überall. Daran waren wir nicht interessiert, wir gingen lieber in den französischen Film Club, Godard-Filme sehen, wir hörten Velvet Underground, lasen Bücher. Diese Dinge brachten uns zusammen, weil es keine anderen Leute gab. Wir hingen dann in der neuen Musikszene herum, die meisten waren Punks und hielten uns für…(an dieser Stelle fällt McLennan in einen tuntigen Akzent:) pretentious, strange, and, maybe, sexually ambiguous. (kurze Pause) And all those things are true.“

IN HER DIARY
Tagebücher, Fotoalben, Tinte…immer wieder Erinnerungen, gerne in altmodischen Medien.
Memory kommt oft vor, wie rain. Forster in Renaissance man-Form, wie die groteske James Joyce Pose auf dem Cover von „Danger In The Past“. Dort, auf dem grandiosen ersten Soloalbum, hätte der Song Platz gehabt. Forster auch in Ferry-Form.
Robert Forster:
„Wenn ich an Bands mit zwei starken Figuren denke, dann meine ich nicht unbedingt zwei Songwriter. Eher Konstellationen wie Reed und Cale bei Velvet Underground oder Ferry und Eno bei Roxy Music (und ich brauchte Jahrzehnte, um die Ferry-Manier(ism)en bei Forster zu erkennen) oder die Pet Shop Boys.“ An anderer Stelle meint Forster, „die Pet Shop Boys sind eine Hi-Gloss Version von uns.“
Streicher setzen sie selten ein, wissen warum.

TOO MUCH OF ONE THING
Centerpiece? Ende Seite eins, Bright Yellow Bright Orange ist eine Langspielplatte, fünf Songs pro Seite, wie (fast) immer. Nach diesem Song: innehalten. Neues Kapitel. Go-Betweens hören ist wie Romane lesen (und Monkees hören). Schlüsselsong. Fast sechs Minuten monoton dylanöses Dirgen und Moritaten, Blood on the tracks-haft, erst beim fünften, sechsten Hören merke ich, dass da was nicht stimmt: Forsters trockene Verse münden in eine bezaubernde Orgel und McLennansche „dadadatta-dadadattas“, keine Band diesseits der Ronettes und Ramones ist so gut in Onomatopoesie: die baba-babas und dadadatta-das…allein…too much…aber dann stimmt was nicht…aus den dadadattas zurück in die Strophe, und es singt: Grant McLennan. Forster UND McLennan singen Strophen in EINEM Song. Jetzt muss die Go-Betweens-Geschichte neu geschrieben werden. Bei Interviews, so einer der clearpot-Trainspotter, verlässt Grant den Raum, wenn nach „Too much of one thing“ gefragt wird. Too much…Robert hat den Text geschrieben, über Grant, so heißt es. Von Grant sei ein Großteil der Musik. You´re one thing greater than all the things that you are together
Und Too much of one thing.

Vielleicht besteht ja die besondere Qualität der Go-Betweens darin, dass sie zwischen diesen beiden Slogan-Polen oszillieren. Mehr als die Summe der einzelnen Teile auf dieser Seite. Zu viel von einer Sorte, zu große Egos für eine einzige Band, auf jener Seite. Go-Betweenshören ist wie Romanelesen, Go-Betweenshören ist auch wie ins Kino gehen, zwei, drei Stunden lang im Dunkeln sitzen und sich nicht um verlorene Zeit sorgen müssen. Platten wie Bright Yellow Bright Orange propagieren den Luxus, sich länger als unbedingt nötig mit etwas so einfachem wie zehn Popsongs zu beschäftigen, sich darin zu vertiefen, sich die ZEIT zu nehmen, um zu erkennen, dass plötzlich McLennan den Gesang übernimmt, wo das eigentlich nicht vorgesehen ist, sich auf den gezielten Einsatz eines E-Pianos zu konzentrieren, alles Dinge, die nicht in unser Leben passen, weil sie zu viel Zeit kosten. Bright Yellow Bright Orange ist die erste neue Platte, die ich mehr als dreissig mal gehört habe seit The Friends of Rachel Worth.
Inzwischen sind die XXX Euro, die ich für diesen Job bekomme, unter Mac-Job-Stundenlohn-Niveau geschrumpft. Dafür habe ich begriffen, dass Forster & McLennans stures, strukturkonservatives Beharren auf Memory, Tradition und Aufmerksamkeit geeignet ist, neoliberale (Selbst)Kontrollregimes zu unterlaufen. Also doch eine politische Band.
Musik zur Abschaffung von attention spans, Zeitökonomie-Panzer zersetzen, the old way out is now the new way in.
„You might think you see purpose, When what you’re seeing is a band.“ (Too much of one thing)

Bitte Platte umdrehen

CROOKED LINES
So kann eine zweite Seite nur anfangen, wenn die erste Seite so beendet wurde. McLennan-Melopause erster Güte, die Eröffnung hat was von „Stolen property“, von den anderen Australiern der frühen 80er, die auf der Strecke blieben, von den Triffids. David McComb, ihr Sänger ist tot inzwischen, Grant McLennan versagt sich McCombs Tremolo-Eskalation, lässt den Song im Dorf sozusagen, war nicht immer so, aber gerade McLennan ist in Extraform hier.
Apropos Form.
„Die Feinheit, Freiheit und Präzision des Sound-Designs, die vor allem darin besteht, das man nicht belästigt wird von Ornamenten und originellen Ideen. Luft zum atmen.“ Schrieb ich zu „Rachel Worth“. Stimmt für Rachel Worth, stimmt nicht für die ganzen Go-Betweens, wie ich damals behauptet habe. Soundverbrechen und scheußliche originelle Ideen pflastern ihren Weg, zumal auf den als Großwerken anerkannten Doppel-LL-Platten von Spring Hill Fair bis Tallulah. Schlagzeugsounds zum Beispiel: die besten auf den frühen – Courtesy Lindy Morrison – und den beiden letzten – Courtesy Glenn Thompson.
Bester Bass, neuerdings auch Kontrabass: Adele Pickvance.

OLD MEXICO / MAKE HER DAY
Wie die Go-Betweens Einfachheit, Plausibilität und Transparenz hinbekommen. Einen Raum einrichten, wo sie doch immer unterwegs sind. Wie die erste Television, Velvets, CCR, Drake. Für OLD MEXICO und MAKE HER DAY, den nächsten, hätten Pavement ihr letztes Hemd gegeben, wie sich das Primitive auflöst in Licht, der stumpfe Beat in OLD MEXICO, das stumpfe E-Piano untermauert die stumpfe Gitarre und dann die Auflösung in Glöckchen. Andere Bands hätten längst eine reine Instrumentalplatte gemacht, auch ein Album mit Coverversionen, das ganze Produktpalettenerweiterungsrepertoire…danke, dass uns das erspart bleibt (dabei war es interessant, was Forster auf seinem Coveralbum gesungen hat. Für Facts & Trivia-Nerds: Forster coverte 25-41 von Grant Hart, der Trennungssong, der Song über das Ende der Robert & Grant-Band Hüsker Dü (der zweite Songwriter war Bob Mould). 2541 war die Hausnummer des Studio/Büros der Band, twentyfivefortyone, big windows to let in the sun, ein Reim für den Robert ein Hemd gäbe, 2541 haben sie verlassen müssen, am Ende von Hüsker Dü. Das Cover der 2541-Single zeigt das Haus mit der Nummer 2541. Für das Innencover von The Friends of Rachel Worth ließen sich Janet Weiss, Grant McLennan, Adele Pickvance und Robert Forster vor dem Eingang eines Hauses mit der Nummer 1925 fotografiern, die Typographie ähnelt der von 2541.)

SOMETHING FOR MYSELF
..fängt an wie Surfing magazines…Forster singt Nonsense über Folk und Rare Groove, dann kommt Phil Spector und haut einen Beat…nicht der wirkliche Spector natürlich, aber es klingt so…spectoresque…ohne den Cecil B.DeMille-Cinemascope-Overkill, an dem die Triffids gescheitert sind. Trocken.

UNFINISHED BUSINESS
Upright bass…ein unbefriedigendes Ende, der kürzeste Song in klassischer McLennan goes Pentangle Jazzfolk-Gloom-Manier, hart an Cattle and Cane und Dusty in here-zum Weinen, aber darin so unbefriedigend, weil es weitergehen sollte..unfinished business..wie Caroline & I in das Album einführt, so führt Unfinished Business nicht hinaus..man möchte, wenn man bis hier hin mitging, dableiben, an diesem Ort „schön und voller sozialer Wärme, geboren aus der Liebe zu einer Band“, wie ein Liebender schrieb, anläßlich der letzten Platte. More of the same.

Klaus Walter (12/2002)

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