Re: Neneh Cherry – Blank Project

#9006603  | PERMALINK

annamax

Registriert seit: 08.07.2002

Beiträge: 4,644

Andreas Borcholte mag ich ja nicht immer lesen … nur lustig zu sehen, welche Provokationen er immer in seiner Playlist unterbringt.
Die Rezension hat mich aber neugierig gemacht, obwohl ich bisher nicht als großer Fan von Neneh Cherry aufgefallen bin.

Neneh Cherry – „Blank Project“
(Smalltown Supersound/Rough Trade, ab 28. Februar)

Nimm das, M.I.A.! Neneh Cherry trat schon 20 Jahre vor der sri-lankischen Agit-Popperin hochschwanger im Fernsehen auf, damals, 1988, mit ihrem genrepulverisierenden Hit „Buffalo Stance“ bei „Top of the Pops“. Been there, done that – so könnte man Cherrys Karriere tatsächlich gut zusammenfassen: Als Stieftochter des Jazz-Trompeters Don Cherry lernte sie als Teenager die Größen der New Yorker Post-Punk-Szene kennen, David Byrne, Arthur Russell und Ari Up von der legendären proto-feministischen Band The Slits lebten mit ihr in demselben Loft-Komplex auf Long Island, Miles Davis und Ornette Coleman, in dessen Band Don Cherry lange spielte, hingen auch manchmal rum. Der musikalischen Avantgarde und Subversion ist Cherry stets treu geblieben, auch wenn man sich hauptsächlich an ihre kurze Mainstreamphase mit „Buffalo Stance“ und „7 Seconds“ erinnern mag. Die kosmopolitische Schwedin verknüpft ihren am 10. März bevorstehenden 50. Geburtstag mit einem spektakulären Comeback als Solo-Künstlerin. „Blank Project“ ist ihr erstes Album unter eigenem Namen seit dem 1996 veröffentlichten „Man“, ihr letzter Coup war 2012 das Free-Jazz-Cover-Projekt „The Thing“.

Primärer Anlass für die fünftägigen Aufnahme-Sessions mit Produzent Kieran Hebden (Four Tet) war offenbar eine private Krise, entsprechend düster und lakonisch sind die Texte der zehn Stücke. Allein der Titelsong ist eine bittere Abrechnung mit den Verletzungen, die sich langjährige Beziehungspartner zufügen. „Strip me naked and put me outside“, verlangt sie in „Naked“, einem der besten Stücke des Albums, dem entwaffnenden Angebot, alles wieder gut machen zu wollen. Es mündet in einen orientalischen Klagegesang. Stilistisch erinnert vieles an der extrem reduzierten Produktion an Cherrys frühe Avangarde-Band Rip, Rig + Panic, in der sie bereits Anfang der Achtziger Post-Punk, Jazz und Beats zu einem faszinierendem Prä-TripHop verschmolz. Die analogen Instrumente von damals sind jedoch Hebdens Elektronik-Klängen gewichen, die kalt, klappernd und nervös den Unmut der oft eher gesprochenen als gesungenen Lyrics spiegeln – ein sparsamer, beklemmender, gleichzeitig mitreißender Sound.

Auch wenn das Nervenkostüm blank liegt, bleibt Neneh Cherry eine Kämpferin, das verrät die leidenschaftliche Entschlossenheit in ihrer Stimme, wenn sie Zeilen wie „Don’t touch me, don’t stress“ me singt („Everything“) oder einfach dreimal über die Schulter spuckt, wenn schwarze Hunde in einer dunklen Ecke lauern und alberner Schicksalsglaube jede Hoffnung zu ersticken droht („Spit Three Times“). Immer wieder blitzen liebliche Melodien und Refrainfetzen zwischen den kargen Trümmern dieser Trauerarbeitermusik hervor, ein hervorragendes Duett mit der schwedischen Elektropop-Sängerin Robyn (Cherrys musikalischer Tochter, wenn man so will) ist auch dabei. Die asiatisch-arabischen Rhythmen in „Cynical“ scheinen auf Diplos Radikal-Experimente mit M.I.A. rückzukoppeln, „Weightless“ transformiert den Punk der frühen Tage in elektronische Dimensionen, vieles erinnert an Portishead – doch stellt sich eben gerade beim Herstellen solcher Bezüge die Frage nach Henne und Ei. Die einzige Nachwuchskünstlerin, die sich ähnlich versiert und souverän durch Stile und Genres zu bewegen scheint, ist die Kalifornierin Banks, deren Debüt im Frühjahr erscheinen wird. Am Ende jedoch ist Neneh Cherry, diese singuläre Pop-Erscheinung, the mother of ‚em all. Don’t get fresh with her. (9.0) Andreas Borcholte

http://www.spiegel.de/kultur/musik/neue-alben-neneh-cherry-laibach-beck-die-heiterkeit-a-955363.html

--

I'm pretty good with the past. It's the present I can't understand.