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Wie’s scheint, waren die Konzerte in HH und HB wohl zwei paar Schuhe…
@KL, was meinst Du mit Legendenbildung?
Gruß, C.
So stand’s in der Frankfurter Rundschau am 24.1.03…:
Alte Pizza
Die Fehlfarben sind auf Tour, und in Hamburg fliegen die Bierbecher
Von Tim Gorbauch
Wie um zu überprüfen, ob die alte Punk-Geste noch funktioniert, fliegen schon vor dem Konzert ein paar Bierbecher durch den Saal. Zurück schmeißt keiner. Eine richtige Schlägerei ist nicht mehr so leicht anzuzetteln, wenn man Vater ist und einen Bausparkredit abzahlt.
Andere nehmen es gleich gelassener und ergehen sich in wehmütigen Erinnerungen: ein Iggy Pop-Konzert Mitte der achtziger Jahre wird angeführt und als eines der fünf besten Konzerte verbucht, das es je gab. Ein anderer hat sich vom Bassisten der Fehlfarben doch tatsächlich mal eine Kippe geschnorrt. Damals. Früher.
So ist die Tragweite des Unternehmens klar, noch bevor überhaupt ein Ton von der Bühne der Großen Freiheit in Hamburg tönt. Die Fehlfarben sind nicht einfach auf Tour, sie geben nicht einfach ein Konzert – sie müssen herhalten für die Vergangenheit der versammelten Ex-Punk-Gemeinde. Ihre Bewältigung bietet in den folgenden 90 Minuten alle erdenklichen Facetten. Sie ist Lehrstück, Tragödie, Drama, Komödie. Alles in einem und alles zugleich.
Peter Hein, der Sänger der Fehlfarben, die Leitfigur der frühen Düsseldorfer Punk-Bewegung, der irgendwann keine Leitfigur mehr sein wollte und drei Tage vor der ersten großen Tour ausstieg, weil ihm alles zu groß wurde, um jetzt doch, nach über 20 Jahren, im beigefarbenen Anzug auf der Bühne zu stehen, Peter Hein weiß um die Erwartungen und will sie nicht erfüllen. Er weiß, dass Punk längst reif ist fürs Museum, und macht sich lustig über den neuen Hype – der ihm selbst gerade ein Comeback beschert. Nach einem Abend, der alle möglichen Höhen und Tiefen eines Konzertes durchleidet, wird das letzte sein, was er den Hamburgern ins Gesicht sagt: „Es tut mir leid, dass ich euer Abi-Treffen gestört habe“. Das sitzt. Mit aller Macht stemmt Hein sich gegen die drohende Oldie-Parade, die Fossilienschau, das Punkmuseum. Natürlich hat er keine Chance. Aber immerhin verliert er seinen trotzigen Kampf furios.
Ein Teil der Strategie ist: Spiele nur die neuen Sachen. Die Lieder der im letzten Herbst erschienenen Comeback-Platte Knietief im Dispo, „Reiselust“ etwa, „Rhein in Flammen“ oder „Die Internationale“, die egal, wie gut oder schlecht sie sind, nicht die verklärte Patina der Geschichte haben, um die es hier doch eigentlich zu gehen scheint.
Ein anderer Teil der Strategie ist: Singe schlecht. Gib den Leuten das Gefühl, sie hätten nichts verpasst, wenn sie die Fehlfarben seit zwanzig Jahren nicht mehr zusammen auf der Bühne gesehen haben. Beide Strategien gelingen. Die Stimmung in Hamburg wird angespannt, die Bierbecher fliegen wieder. Noch kann Hein das ignorieren.
Manchmal wird aber auch das neue Material euphorisch. Ein Song wie „Was der Himmel verbietet“ erinnert daran, warum Hein das Liebeslied für die deutsche Sprache erst möglich gemacht hat. Es wird zum Musterfall seines ureigenen, unverwechselbaren Gesangs, der sich quer legt zur fließenden Textur der Instrumente, der hervorsticht, Widerstand zeigt und die Seele nach außen kehrt. An anderer Stelle heißt die vom „Pyrolator“ Kurt Dahlke erfundene Elektronik das 21. Jahrhundert für willkommen. Manchmal aber passiert einfach nichts. Gar nichts. Und das einzige, was von der Bühne kommt, ist ein matter, schlecht studierter Einheitssound, das einzige, was zu sehen ist, sind die verwirrten Gesichtszüge Peter Heins, der weder Text noch Einsatz weiß.
Im letzten Drittel kommen schließlich doch die alten Parolen zu Wort: „Nichts erreicht meine Welt“. „Das sind Geschichten“. „Ernstfall“. „Gottseidank in England“. Zu spät für Heins Stimme. Sie ist ihm längst abhanden gekommen. Ein letztes Mal bäumt er sich in „Wie bitte was?!“ auf, schreit: „Ich sehe keine Ehre, sehe nur Geiz / Sehe nur Leere, nichts, was mich reizt“, schreit lauter und lauter. Winkt ab. Und geht. Die Bierbecher fliegen. Das wäre ein Abgang gewesen.
Zur Zugabe wagt er sich noch mal ans Mikrofon, ein Bierbecher trifft ihn am Kopf. „Welches Arschloch war das?“, fragt er. Und geht. Mitten im Lied. Auch das wäre ein Abgang gewesen. Aber Hein kommt noch mal, entschuldigt sich für seine Performance und die versammelten Fortysomethings, geben mit einem fast antiken Plan-Lied – „Alte Pizza“ – den Punk-Kindergeburtstag. Mehr ist von damals vielleicht nicht übrig.
Fehlfarben auf Tour: 24. Januar Bielefeld; 25. Karlsruhe; 28. Köln; 29. + 30. Berlin; 31. Leipzig; 01. Februar Kassel; 05. Darmstadt; 06. München; 07. Stuttgart; 08. Bad Salzungen; 09. Düsseldorf; 12. Wien; 13. Graz und 15. Dresden.
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Nun gründe nicht gleich ein Wrack-Museum, wenn Dir ein Hoffnungs-Schiffchen sinkt!