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Anonym
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RosebloodAber bewerten wir (falls es Objektivität in der Musik gibt) diese objektiven Eigenschaften nicht schon wieder subjektiv?
Für manche ist ein schiefer Ton ein schiefer Ton. Für andere kann er charismatisch sein. Eine verrauschte Aufnahme kann objektiv betrachtet qualitativ minder sein, aber genauso kann sie dadurch erst einen Charme entwickeln.
Und warum ist Jazz objektiv betrachtet besser als Bierzeltmusik? Welche Parameter sind dafür ausschlaggebend?
Eigentlich hast Du mit Deiner ersten Aussage schon ganz gut einen Kern der sog. „Subjektiven Allgemeingültigkeit“ getroffen. Ich möchte mich jetzt in den kurzen Ausführungen an Kant halten, den u.a. „Meister der Ästhetik“. Einige Aussagen in meinen vorherigen kürzeren Beiträgen beziehen sich direkt auf Kant, auch wenn ich es nicht so gekennzeichnet habe.
Grundsätzlich ist zu sagen, dass es nach Kant nicht möglich ist, Kunst, oder wie hier im Speziellen Musik/Rockmusik etc., durch das Anlegen von objektiven Maßstäben zu beurteilen. Schiller, ein großer Anhänger von Kant, z.B. hat dies anhand der Kant‘schen Theorie versucht und ist gescheitert. Es gibt zwar Richtlinien, wie z.B. den goldenen Schnitt im Bereich der Architektur. Aber es gibt auch verstörende, avantgardistische Werke, die keine Regeln beachten und dennoch schön sind. Letztlich sind alle Versuche bis heute gescheitert, die Bewertung von Kunst durch objektive Maßstäbe vorzunehmen.
Kant unterscheidet in seiner „Subjektiven Allgemeingültigkeit“ folgendes: Das Gute, das Angenehme und das Schöne.
Das Gefallen am Guten: Sehe ich mir das Leben Mutter Theresias an, komme ich zum Ergebnis, dass sie Gutes bewirkt hat. Wir werden quasi dazu genötigt, zu diesem Urteil zu kommen und dies hat moralische Gründe. Das Gefallen am Guten beruht immer auf moralischen Grundsätzen, egal, ob es um Musik oder das Leben einer großen Persönlichkeit geht.
Das Gefallen am Angenehmen: Hier findet man den Satz „die Geschmäcker sind verschieden“, denn das Gefallen am Angenehmen ist rein subjektiv. Ein Beispiel: Mir schmeckt ein Schnitzel mit Bratkartoffeln. Ich kann nicht wirklich wissen, ob es Dir auch schmeckt, wenn ich ehrlich bin. Die Beurteilung ist rein subjektiv, ich empfinde das Schnitzel als lecker. Darüber lässt sich nunmal nach Kant schlecht streiten, denn wer hat Recht? Derjenige dem das Schnitzel schmeckt oder derjenige dem es nicht schmeckt?
Jetzt kommt der eigentliche Kern: Das Gefallen am Schönen! Dies kann sowohl subjektiv, als auch objektiv sein (im Gegensatz zu den anderen beiden). Das Gefallen am Schönen kann nur subjektiv, sinnlich erfahren werden und gleichzeitig gebärdet es sich objektiv, denn das Schöne gefällt nicht bloß aus privaten Gründen heraus. Erfahre ich einen Song in einer bestimmten Situation (z.B. auf der Autobahn, dem Sonnenuntergang entgegen), dann ist es lediglich „subjektive Sinnlichkeit“. Woher soll ich wissen, dass Dir dieser Song in dieser Situation auch gefällt? Sobald ich jedoch hinter das private Vergnügen schaue, hinter die bestimmte Situation plus Song, dann öffnet sich mir langsam die „wahre Gestalt“ eines Songs. Dann erkenne ich eine objektive Faszination, die „frei“ von bestimmten Situationen ist. Es spielt auch gar keine Rolle, ob wirklich Objektivität vorhanden ist, doch mir MUSS es in diesem Moment so vorkommen.
Hier kommt auch „Geschmack“ ins Spiel. Geschmack hat nur der (laut Kant), der durch Reife, lange Übung eine gewisse Fähigkeit zur Unterscheidung und ein dispassionate mind in sich klar unterscheiden kann, ob etwas „Gut“, „Angenehm“ oder „Schön“ ist.
Es ist verwunderlich und beinahe mystisch, wie es bei ästhetisch gebildeten Menschen zu einer großen Übereintsimmung bei der Urteilsfindung kommt, so als unterhalte man sich über die Relativitätstheorie. Es werden strenge Maßstäbe dabei angesetzt, obwohl man nicht viel „Objektivest“ vorlegen kann.
Auf der anderen Seite gehen Meinungen ja auch oft auseinander und das macht den Reiz aus. Kant benutzt noch ein anderes Wort „Ästhetischer Gemeinsinn“ und diesen stellt er der bloßen subjektiven Wahrnehmung voran. Im Schönen muss also gestritten werden, denn das ästhetische Urteil muss, trotzt subjektiver Wahrnehmung, Allgemeingültigkeit beanspruchen. Eine prekäre Lage.
Hier noch zwei Zitate und Erklärungen, die nicht von mir stammen, d.h. die ich einfach so (mit Erlaubnis meines Kumpels) übernommen habe:
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1. Kant: „Schönheit ist, was ohne Interesse gefällt“.
D.H. es löst Wohlgefallen aus, obwohl ich kein subjektives Interesse an dem Gegenstand nehme. Ich bleibe innerlich vollkommen frei.
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2. Schiller: „Schönheit ist Freiheit in der Erscheinung!“
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Zur Erklärung: Alles in der erscheinenden Sinneswelt ist unfrei, das heißt, es hängt von etwas anderem ab. Freiheit ist nur ein Ideal, welches im selbstbestimmten moralischen Handeln kausal erfahrbar wird. Allerdings können wir den Ursprung einer freien Tat nicht wahrnehmen. Wir können mit dem Verstand auch nie wissen, ob die Tat wirklich frei war, oder doch nur egoitisch motiviert.
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Das Schöne nun können wir sinnlich wahrnehmen. Alles Sinnliche ist normalerweise determiniert durch andere Objekte, alles in der Welt bestimmt sich gegenseitig. Nur das Schöne ist als sinnliches Objekt wahrnehmbar, wirkt aber gleichzeitig vollkommen selbstbestimmt, d.h. frei. Durch den sinnlichen Nachvollzug des Werks – übrigens natürlich auch der Naturschönheit – erfahren wir Freiheit. Insofern ist das Schöne das Wunder aller Wunder. Denn: die moralische Freiheit können wir nicht sehen, wir können sie allenfalls im Ideal postulieren. Die Schönheit aber können wir wahrnehmen, sie ist sinnlich, wirkt aber gleichwohl frei, d.h. ÜBERSINNLICH!
It’s a miracle.
Vielleicht sind das Perlen vor die Säue (mich eingeschlossen), ich wollte es dennoch mal schreiben. Es ist halt eine eigene Welt, die Philosophie.
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