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pipe-bowlDiese Platzierung macht mich noch ein Stück weit weiter neugierig auf das Album. Magst Du etwas zu Deinen Eindrücken erzählen?
Eine Frage, die Dich interessiert, ist vermutlich: Wie ist das Album im Vergleich zum Vorgänger? Die kann ich aber nicht definitiv beantworten, weil ich Blessed erst seit kurzem besitze und noch zu wenig gehört habe. Es liegen keine Welten zwischen den beiden Alben, aber sie sind auch nicht gleichartig. Insgesamt finde ich das neue Album bislang vielfältiger, farbenreicher, spielfreudiger, leidenschaftlicher, lockerer, besser (womit ich Blessed nicht schlechtreden will, das ja so knackige Highlights wie „Seeing Black“ enthält).
Down Where the Spirit Meets the Bone enthält zurückgelehnte Südstaatenmusik, eine potente Country-Soul-Blues-Rock-Mischung in einer angenehmen Abfolge von groovebetonten und entspannten Stücken. Die Musik groovt insgesamt mehr als ich das beim Anhören des Streams am Computer wahrgenommen habe. Verantwortlich dafür sind zum größten Teil Davey Faragher und Pete Thomas aus Elvis Costellos Band (wobei der Bassist häufiger wechselt als der Schlagzeuger).
Noch wichtiger für die Klasse des Albums ist das inspirierte Spiel der Gitarristen (in der Regel Greg Leisz und noch ein anderer). Es gibt hier viele Gitarrensoli und -duette, aber kein Gegniedel und keine Mätzchen. Man hört an jeder Note, dass Könner am Werk sind. Alles klingt so unangestrengt und souverän, dass es eine Freude ist.
Und Lucinda Williams selbst? Sie klingt emotional und leidenschaftlich. Sie singt sehr variabel, improvisiert mit ihrer Stimme, um noch mehr Ausdruck herauszuwringen. Mitunter verschleift sie dabei so die Silben, dass man das Textblatt zu Hilfe nehmen muss, um sie zu verstehen. Die Persönlichkeit oder Haltung, die sie darstellt, ist: eine Frau, die viel durchgemacht, aber sich nicht hat unterkriegen lassen, die sich ihre Lebensweisheit hart erarbeiten musste und sich nichts mehr gefallen lässt, aber ein großes Herz hat, voller Mitgefühl für die Mitmenschen. Lu verkörpert das überzeugend.
Die 20 Tracks sind nicht alle gleich gut, das ist klar; das Qualitätsspektrum reicht von gut bis meisterhaft. Nicht alle sind „killer“, aber es gibt keine „filler“; jedes Stück hat seine Reize und wird ausgespielt, kriegt die Zeit, die es braucht, um sich zu entfalten. Hier gibt es keine Hektik oder Eile; man hat Zeit. Die Country-Balladen sind gefühlvoll und kitschfrei. Die Blues-Nummern stolzieren selbstbewusst daher. „West Memphis“ mit Tony Joe White (ein Song über Unrechtsjustiz) erfüllt schon meine Anforderungen an Blues, aber „Something Wicked This Way Comes“ (ein Song über den Teufel), der andere Track mit White, ist noch besser. „Protection“ erfüllt alle meine Anforderungen an Rockmusik, aber „Foolishness“ ist nochmal eine Klasse besser: das ist einer der Tracks des Jahres und wird künftigen Generationen als Modell dienen, wie Rockmusik zu klingen hat – auch die Attitüde ist musterhaft. „Burning Bridges“ (mit Jonathan Wilson) ist ebenfalls ein Meisterstück.
Insgesamt ist das ein großartiges Album. Man braucht freilich Zeit und Ruhe dafür; im Hintergrund gehört, kann es einem durchschnittlich vorkommen (wenn man sich nicht schon an der Stimme stört). Am besten ist es, man legt die Füße hoch und konzentriert sich auf die Musik.
IrrlichtDurch und durch tolle Liste, Go1. Ich mag praktisch alles, was ich daraus kenne und freue mich, dass Swans und auch Sun kil moon bei Dir punkten können (das wären meine #1 und #2).
Danke. Swans waren praktisch Liebe beim ersten Hören: Noch nicht bei „Screen Shot“, aber schon bei „Just a Little Boy“ wusste ich, dass ich etwas Großes vor mir habe. Bei Benji war es schwieriger: Als das Album rauskam, habe ich versucht, es mir im Stream anzuhören, aber keinen Draht dazu gefunden. „Ich lass mir doch von Mark Kozelek nicht das Ohr abkauen“, habe ich gedacht. Später (also: vor kurzem) habe ich das Album dennoch gekauft und das war gut, denn der fehlende Draht wurde mitgeliefert in Gestalt des Textblatts. Ich habe beim Hören mitgelesen, und da hat Kozelek mich erwischt mit seinen Geschichten, seiner Meditation über Tod und Gewalt und Zufall und Familie und die eigene Lebensgeschichte. Abseits des Computers ist mir auch die Musik mit einem Mal differenzierter und farbiger vorgekommen.
IrrlichtHast Du zufällig schon das neue SBTRKT Album gehört?
Ich habe nur zwei Tracks daraus gehört. Die Bewertungen und Kommentare zu dem Album, die mir untergekommen sind, waren auch nicht positiv genug, um das Anhören als dringend erscheinen zu lassen.
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To Hell with Poverty