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TRANSFIGURATION (1978)
man dachte eigentlich, dass alice coltrane der jazzmusik vollkommen abhanden gekommen war, als sie am 16. april 1978 in der schoenberg hall der university of california, los angeles, ihre tragbare wurlitzer aufklappte. rückzugsdokumente hatte sie zuletzt produziert, familienmitglieder mitspielen und ihren ashram chor mitsingen lassen, hatte kaum noch improvisiert, sondern sich diskret ins mantra groovender endlosschleifen verabschiedet.
nun steht sie plötzlich auf einer kleinen bühne, mit ehemaligen mitspielern ihres mannes (reggie workman und roy haynes) und haut einem die feurigsten john-coltrane-gedenk-improvisationen um die ohren, quasi 80 minuten am stück, vor ausflippendem publikum, die man je von ihr gehört hat. es braucht ein eingrooven, das titelstück, das aus einem beschwörungsrubato einen von workman initiierten swingbeat werden lässt, der aber auch schnell wieder vorüber ist. danach die sanft gesprochene erklärung: „i would like to play the piano for you now.“ ein solostück für john coltrane, „song for the father“, setzt ein, heiliges arpeggio, kosmischer hall, überraschende akzente, die immer mal auftauchen, ein großer fluss, der immer wieder mal von moll zu dur wechselt, seine farben ändert, sein düsteres grundgefühl aufhellt. mit „prema“ ist man danach im ewigen mantra, eigentlich auch piano solo, doch mit overdubs zwei mal effektiv um streicher verstärkt. es gibt einen schönen registerwechsel gegen ende, wenn sich das klangbild lichtet, sich die pedalverstärkten bässen auflösen, die hohen lagen dominieren. aber letztlich ist man nach 10 minuten entweder in einem anderen geistigakustischem wahrnehmungszustand angelangt (wie es mir ging) oder eingeschlafen (wie es wahrscheinlich anderen geht).
aufwachen werden alle, sobald „affinity“ losgeht. nun sitzt das trio im sattel und wird sich nicht mehr abwerfen lassen. ein hippes zweitonmotiv, durch verschiedenen tonlagen bewegt, mit effektiver bridge, im halsbrecherischen tempo, lässt workman im walking-modus zurück, während haynes ziemlich aufdreht, mitzieht, in den wenigen spielpausen von alice telepathisch sein crashbecken platziert und sie weiter anfeuert. coltrane spielt die 11 minuten durch, frenetisch, im wechsel zwischen ihren beiden registern, das eine eher dissonant-glühend, das andere quäkig, schrill, mit den gedehnten und gezogenen tonmodulationen. sie setzt einen höhepunkt nach dem nächsten, das publikum applaudiert zwei mal einfach mittendrin, quasi szenenapplaus. am ende ekstatische schreie, frenetischer jubel.
aber das ist noch gar nichts. leise kündigen einige gospelakkorde die zweite hälfte des doppelalbums an. alice coltrane stellt ihre bandmitglieder vor, bereitet john coltranes „leo“ vor, sagt, dass es ihm dabei um energie gegangen sei, und dass sie dafür nun mit haynes und workman ja beste voraussetzungen habe. dann stellt sie die wurlitzer auf maximale lautstärke und noch in die dunkelsanften bluesakkorde zieht sie eine dissonanz ein, um ansatzlos schließlich das abstrakte zweitonmotiv von „leo“ anzusetzen – mit einer nicht wirklich glaubwürdigen tempovorgabe (man hört teilweise nur jeden zweiten ton, so schnell werden sie gespielt). coltranes erstes solo dauert 10 minuten, die in einer atemberaubenden sirenen-kaskaden enden. das war alles schon kaum zu fassen. dann kommt ein 5-minütiges hochvirtuoses solo von workman, ohne eine einzige redundanz, auf dem gleichen niveau wie der tumult zuvor – auch hier gibt es szenenapplaus, vor allem bei den augenzwinkernden flamenco-zitaten, frei nach jimmy garrison. dann 6 minuten roy haynes solo, aus dem handgelenk entwickelt bis zum hardrock-crash, aber ganz locker, mit großer farbigkeit. die letzten 15 (!) minuten gehören dann frau coltrane, die sich mit haynes zusammen in ihren letzten rausch spielt. was da genau passiert, ist nicht ganz erlärbar. ich weiß nicht mehr, was sie da tut, sie weiß aber wohl ziemlich genau, was sie da tut. es gibt keinen suchenden, unsicheren, zerbrechlichen moment mehr – nur noch high energy, wie eine von selbst laufende spielekonsole. man glaubt nicht mehr, dass das noch zwei menschliche hände sind, die das hier produzieren. gegen ende gibt es einen unglaublichen moment mit haynes, wo sie in einer quasi-hardrock-figur hängenbleiben, und hier schreit dann auch roy haynes vor ekstase. plötzlich wechselt coltrane danach mehrfach das tempo, indische hymnen klingen kurz an, dann ein blues, aber haynes und workman bleiben einfach in ihrer eigenen geschwindigkeit, coltrane streut immer häufiger das „leo“-thema ein, schließlich erschöpfen sich alle drei in einem großen akkord und haynes haut ein letztes mal mit voller wucht auf sein crashbecken.
der applaus danach ist ein tumult, verständlichweise. man wischt sich buchstäblich die stirn. und damit verabschiedet sich alice coltrane für fast 30 jahre von der bühne, von warner, aus der albenproduktion, aus der nie ganz von ihr überzeugten jazzwelt.
Sonny Sharrock tried to play his guitar like John Coltrane. Were you trying to do the same with piano?
„No. What I found is a sound that matched his, as when I played the Wurlitzer organ with the synthesiser up on the top; you could pick his vibration out like anything. It was still not a saxophone, it was not a piano, but the vibration is like Coltrane’s sound . When I really noticed it, I guess, was on a piece called „Leo“ from an album called Transfiguration. But if I play the same piece on the piano it’s not there, I don’t hear it there. Why would I ask, or expect, that the organ is gonna do what the piano does? They’re both different instruments.“
Are you feeling the presence of John when you’re playing that? Or are you trying to take it beyond?
„No, I still think there’s that unity, there’s still that sharing, and the light and the spirit of what he gave more than, ‚Oh lets take this a next step higher‘. It’s me at a moment, its not me trying to further a legacy, I have no interest in doing that, it’s a landmark thing“
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