Re: Alice Coltrane (1937-2007)

#8940681  | PERMALINK

friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

Beiträge: 4,885

vorgarten(…) man kann natürlich auch religionskritisch an musik herangehen und sagen, dass das nichts miteinander zu tun hat – aber man kann auch sagen, dass man damit wichtige kontexte ignoriert, die kulturell zur produktion dieser musik beigetragen haben bzw. eigentlich unauflöslich damit verzahnt sind.
ich verstehe das hier konkret auch nicht – nur: es macht mir nicht viel aus. im gegenteil – vieles war mir gar nicht bewusst und ich lerne das hier: z.b. dass schon in den 30ern eine afroamerikanische „delegation“ gandhi in indien besuchte, dass gandhis schriften sehr wichtig waren für martin luther king, dass sich die ganze black power bewegung in den 60ern auf die suche nach alternativen spirituellen quellen gemacht hat (alternativ zum christentum natürlich). und dass das ja auch interessant ist, wenn sich eine sprituell derartig ‚vorbelastete‘ frau wie alice coltrane (die ja quasi in der baptistenkirche aufgewachsen ist und die nur dort als musikerin wachsen konnte, ohne als ‚unweiblich‘ zu gelten) zu einer hindu-lehrerin wird und einen ökomenischen (!) ashram gründet.

wenn ich aber stückbeschreibungen von ihr lese wie auf eternity („SPIRITUAL ETERNITY embraces the ancient soul of the immortal eternity. it also peacefully rests upon the everlasting wings of the eternal endlessness.“), dann verstehe ich gelinde gesagt überhaupt nichts. das ist ja schon eine unglaubliche superlativdrescherei: eternity, immortality, everlasting, eternal endlessness… diese aufzählung an sich ist ja wortzauber und nicht wirklich deskriptiv…

Ja, das erscheint plausibel. Für jemanden, der in einem säkularen Umfeld aufgewachsen ist, ist das halt etwas schwer nachzuempfinden – eigentlich sogar nur theoretisch zu verstehen. Dass bei Teilen der afroamerikanischen Bevölkerung die Verheißung einer wie auch immer gearteten Erlösung hoch im Kurs stand, ist nachvollziehbar. Auch, dass man nach einer spirituellen Quelle jenseits der Religion ihrer ehemaligen Sklavenhalter suchte. Bei Sun Ra habe ich das immer als eine Utopie verstanden, aber eben auch als Utopie, ein Sinnbild einer alternativen, idealen Wirklichkeit, die aber niemals erreicht werden kann – außer vielleicht für die paar Minuten oder Stunden, die das Arkestra spielte. Dass Sun Ra tatsächlich vom Saturn kam dürften ja wohl nicht mal die Menschen in seinem unmittelbaren Umfeld ernsthaft geglaubt haben. Vielleicht nicht mal er selbst – es sei denn er ist von irgendeinem Drogentrip nicht mehr zurückgekommen.

Den spirituellen Cocktail, den Alice Coltrane da zusammenrührt, empfinde ich jedoch als Kitsch. Das erinnert mich an die Späthippie-Idylle der 70er Jahre mit Batik-Tüchern, Räucherstäbchen, Patschuli-Öl, Haschisch, Gurus und Carlos Castaneda. Aber es gab damals wohl einen Markt dafür. Naja, das führt jetzt sicher auch off topic. Konzentrieren wir uns lieber auf die Musik.

(…)aus haden hätte eigentlich ein super rockbassist werden können. auch hier finde ich ihn (am anfang) grandios.

ich glaube, das da auf dem shriekback-stück ist ein synthetisierter chapman-stick – haden klingt ja dann doch sehr anders (aber ähnlich trocken).

Ich meinte weniger den Klang des Basses, als die bass line selbst, die bei AC aber so gut wie unisono von Bass und Orgel gespielt wird, oder? Unwiderstehlich! Vielleicht hätte Haden ein guter Latin- oder Funk-Bassist werden können. Ist er hier ja eigentlich schon.

PS.: Den

ökomenischen ashram

hatte ich zuerst versehentlich als ökonomischen Ashram gelesen. Was dürfte man sich wohl darunter vorstellen? ;-) Genau genommen müsste es wohl heißen ökumenisch.

--

„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)