Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › Blue Note – das Jazzforum › Alice Coltrane › Re: Alice Coltrane (1937-2007)
Ich wollte ja noch was zu dem einzigen mir bekannten Alice Coltrane-Album PTAH THE EL DAOUD schreiben. Dabei habe ich mich aber etwas in Gedanken über die für mich etwas überbetonte Spiritualität in Alice Coltranes Musik verfranst. Allein die Titel: ILLUMINATIONS, TRANSCENDENCE oder gar UNIVERSAL CONSCIOUSNESS. Mein lieber Scholli! Da liegt die Latte ja ganz schön hoch. Für mich versperrt das den unvoreingenommenen Zugang zu ihrer Musik, da damit ein ja aberwitziger Anspruch formuliert wird und Vorgaben gemacht werden, auf die ich mich eigentlich gar nicht einlassen will. Hier und dort wirft sie sogar alt-ägygptische Mythologie, Bhuddismus und was-weiß-ich noch anderes lustig in den gleichen Kessel. Da frage ich mich, wie ernst ich das überhaupt nehmen soll. Am besten nicht allzu ernst. Dann wird die Musik für mich erst anhörbar. Und dann finde ich PTAH THE EL DAOUD sogar sehr gut. Vielleicht später mehr dazu.
vorgarten
ETERNITY (1976)
(…)
was dann kommt, traf mich ziemlich unvorbereitet. „los caballos“ ist ein afrokubanischer funk mit „manteca“-ähnlichem thema, sehr catchy, sehr dreckig. hadens bass dazu der himmel auf erden. riley hat verstärkung durch den santana-percussionisten armando peraza, außerdem spielt noch ein „friend“ timpani. nach der sexy-trägen themenvorstellung gibt es ein kurzes timpani-solo und die band spielt das thema in doppelter geschwindigkeit. erste solopassagen von alice, mit ausgiebigem gebrauch des wurlitzer-tonpitching-features. dann wieder timpani solo und die band kommt endlich im halsbrecherischen endtempo an. die folgende improvisation ist unglaublich, rasend schnell, völlig verschroben durch die verzogenen einzeltöne, schließlich eine free-kaskade, die klingt wie ein kaputtgehender spielautomat (und phasenweise wie R2D2). danach gibt es percussionsoli, dann ein solo von haden, der am ende wieder das thema vorstellt, in der trägen anfangsvariante. etwas so weltlich dreckiges hätte ich alice coltrane zu diesem zeitpunkt nicht mehr zugetraut.
Ich weiß ja nicht, was am Weltlichen so dreckig sein soll, es sei denn man glaubt an ein nicht nur sauberes sondern reines Jenseits. Das hier ist doch toll: Körperlich, tänzerisch -funky! – und voller Witz, weil ganz schön neben der vermeintlichen Idealspur liegend. Und ja – weltlich und daher so lebhaft und aufregend. Tito Puente trifft Sun Ra trifft Krautrock oder so. Ich weiß nicht, ob das so beabsichtigt ist, aber es ist toll!
noch eigenartiger dann „OM supreme“ (…)
Kaum vorstellbar!
Edit: Bass-Soli gehören jedoch verboten! Wenn dieses Stück bei Minute 6:00, spätestens bei 6:50 zu Ende wäre, wäre das nur ein Gewinn. An diesem Punkt ist eigentlich die Luft raus, auch wenn es zum Ende wieder etwas aufgepumpt wird. Da lobe ich mir das in der Popmusik gepflegte Single-Format, bei dem man in 3:00 Minuten auf den Punkt kommen muss. Dabei ist die bass line im ersten Teil des Stückes ja wirklich toll! (Irgendwie erinnert mich das an dieses hier, aber das ist sicher Zufall.)
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)