Re: Peinlich oder nicht? Fragwürdige Songtexte und -titel

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herr-rossi
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Kann leider jetzt erst darauf eingehen:

DE64625Übersetz die Lyrics einfach mal in’s Deutsche und frag Dich, was Du dazu sagen würdest, wenn Du die von Andrea Berg oder Helene Fischer hören würdest. Da kommen wir sicherlich b) ganz nah.

Eben nicht, denn genau darin zeigt sich ja, dass es eben auf den Kontext ankommt. Übersetz doch mal beispielsweise Otis Reddings „These Arms Of Mine“ ins Deutsche und stell ihn Dir von einem deutschen Schlagersänger interpretiert vor. Bei Otis ist es ein Soul-Song und beim Schlägersänger ein Schlager. Der Unterschied liegt nicht im Text, sondern im musikalischen Kontext. Bei Otis Redding würde Dir der Andrea Berg-Vergleich nie in den Sinn kommen. Warum? Das hast Du ja hinreichend erklärt. Du hörst bei Rihanna keinen „Soul“, sie ist für Dich ein modernes Wegwerfprodukt, und der Andrea Berg-Vergleich dient einzig und allein dazu, Deine Verachtung für diese Musik auszudrücken. Mit dem Text hat das überhaupt nichts zu tun.

Ich halte bei den paar Andrea Berg-Songs, die ich gehört habe, die Texte übrigens für das geringste Problem. Es sind klassische Liebesthemen, die hier auf simple und vorhersehbare Weise verhandelt werden und die man auch aus anderen Genres zur Genüge kennt: „Cheating“, „love gone wrong“ etc. Mich stört eher, wie in dieser Spielrichtung des Schlagers die seifigsten 80er-Jahre-Sound-Klischees anscheinend für alle Ewigkeit überwintern, weil die Zielgruppe damit für den Rest ihres Lebens glücklich zu sein scheint. Ein Track wie „Diamonds“ stammt dagegen aus der Gegenwart und klingt eben nicht so, wie schon tausendmal gehört. Ähnlich wie bei dem auch von Dir geschätzten „Atomic“ von Blondie ist der Song hier selbst kaum von der Produktion zu trennen, vom Sound – auch vom Sound der Wörter. Hör doch zum Beispiel mal hin, wie die Zeile „Shine bright like a diamond“ hier zum Klingen gebracht wird. Sia Furler weiß, wie Wörter klingen. Sie ist keine tiefschürfende Texterin, aber sie hat ein Ohr für den Sound der Wörter.

Ist die Intention von „Diamonds“ eine signifikant andere als bei „You’re my heart, you’re my Soul“? (Menschen mit tanzbarer Musik erfreuen und dabei noch) Kohle machen?

„Kohle machen“ wollen aber immer nur die Leute, deren Musik einem nicht gefällt, nicht wahr? Auch hier der Verweis auf Otis Redding, wiederum nur als Beispiel: In der Doku, die vor einigen Tagen gezeigt wurde, konnte man ihn sehen, wie er seine vom verdienten Geld erworbene Farm vorführte, seine Sammlung an Luxuskarossen. Er hielt Bündel von Dollarnoten in der Hand wie ein „Gangsta“-Rapper. Auch die alte Garde der Soul-Sänger hatte durchaus vitale materielle Interessen. Und ja, sie wollten Leute zum Tanzen bringen.

„Kontext-Gefasel“? Denk noch mal nach!

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