Startseite › Foren › Das Radio-Forum › Roots. Mit Wolfgang Doebeling › 16.06.2013 › Re: 16.06.2013
SoulcialismEs ist vielleicht ein bißchen haarspalterisch, aber zwischen den Formulierungen „besten“ und „Favoriten“ besteht natürlich ein Unterschied: „Beste“ impliziert immer den Anspruch, objektiv messbar zu sein – und ich denke, wir sind uns einig, dass Pop-Musik eben nicht nach Kategorien der Harmonielehre etc. erfolgen kann, sondern anders zu bewerten ist, und damit natürlich sehr subjektiv ist.
Wenn man aber mal versucht, „beste Songs“ nach Wirkung oder Originalität zu erfassen, dann muss doch schwarze Musik etwas umfänglicher berücksichtigt werden, als ich befürchte, dass es der Fall sein wird.
Hier also ein paar Soul-Songs aus 1967 (wahrlich nicht das beste Jahr für schwarze Musik), die bspw. in den Top 75 dieses Jahres zu finden sein müssten:
„Seven Days Too Long“ (Chuck Wood)
„You’re Gonna Make Me Love You“ (Sandi Sheldon)
„If You Ever Walk Out of My Life“ (Dena Barnes)
„Ain’t No Mountain High Enough“ (Marvin Gaye / Tammi Terrell)
Und natürlich darf auch Jamaica nicht vergessen werden:
“You don’t care” (Techniques) und
“You don’t love me” (Dawn Penn)
sind geradezu paradigmatisch für Rocksteady, ohne den Reggae nicht denkbar wäre.Ich bin gespannt, wie die tatsächliche Liste dann aussehen wird.
Haarspalterisch? Nein, ich nehme mir nur das Recht, meine Favoriten auch für die Besten zu halten. Objektiv messbar? Nein, schon gar nicht nach Maßgaben der Harmonielehre. Auch nicht nach Wirkung und Originalität, denn auch diese lassen sich ja nicht messen. Im Übrigen zeigen Deine Beispiele, wohin solche musikideologischen Theoreme, „schwarze Musik“ müsse stärker berücksichtigt werden, führen kann: ins Mittelmaß. Chuck Woods Single hat einen feinen Drive, sonst nix. Sandi Sheldons 45 höre ich sehr gern, wenngleich ich nur eine spätere UK-Pressung auf Epic mein eigen nenne (dürfte indes dieselbe Version wie auf Okeh sein), aber sie ist doch nichts herausragendes und wäre bestimmt längst vergessen, umgäbe sie nicht die Aura eines Northern-Soul-Klassikers. Dasselbe gilt für die Single von Dena Barnes: ein bißchen ordinär, gesanglich wackelig, aber teuer, da in Northern-Soul-Kreisen für sakrosankt erklärt. Tatsächlich gibt es im Soul, auch und gerade in der Enklave Northern Soul ebenso viel Ramsch wie in jedem anderen Stil, in der „schwarzen“ Musik so viel wie in der „weißen“. Marvs und Tammis „Mountain“ ist freilich fulminant, auch wenn es nicht meine Lieblings-45 der beiden ist, und hätte es beinahe in meine Top100 von 1967 geschafft. Was die von Dir als paradigmatisch gekennzeichneten Rocksteady-Singles betrifft: beide schätze ich durchaus, die von den Techniques mehr, die von Dawn Penn weniger, freilich nicht etwa deshalb, weil ich etwas gegen quäkende 14jährige Sängerinnen (oder war sie schon 15?) hätte, beileibe nicht. Es ist wohl so, daß sich mein Musikverständnis mit dem Deinen zwar hier und da überschneidet, daß aber diese Schnittmenge offenbar nicht sehr groß ist. Aufgrund Deiner hier geäußerten Vorlieben hege ich den leisen Verdacht, daß Du DJ bist (?). Das würde immerhin erklären, warum Du Dancefloor-kompatiblen Singles den Vorzug zu geben scheinst und offenbar „schwarze“ Musik generell präferierst. Oder hast Du auch ein Faible für Country oder Folk? Würde mich wundern.
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