Re: Klassik-Glossen

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gypsy-tail-wind
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Gestern abend eher zufällig mal wieder in Patricia Kopatchinskajas Küche gelandet, genauer im Trashbin – und mich einmal mehr köstlich amüsiert, besonders über den Satz mit dem Bichermüesli:

Klischees

Peter Hagmann in Neue Zürcher Zeitung vom 12.11.2012: …Dann freilich, dann kam das Violinkonzert von Fazil Say – und aus war es mit der Stimmung. Denn „1001 Nights in the Harem“, so nennt sich die gut halbstündige Fantasie für Geige, konzertantes Schlagzeug und Orchester des komponierenden Pianisten aus der Türkei, erwies sich als eine nicht enden wollende Reihung von Klischees, als eine Abfolge ärgster Folklorismen und als Ausdruck eitel selbstverliebter Geschwätzigkeit. Von Interesse sind allenfalls die tiefen Flautando-Klänge, die Say im dritten von vier Sätzen für die Geige verlangt, aber im Finale gleitet das Stück gleich wieder ab in gepflegten Pop, der gut als Soundtrack zu einem Hollywood-Schinken taugte. Warum sich Patricia Kopatchinskaja solcherart verirrt, ist schwer nachvollziehbar. Gewiss, die begabte Geigerin steht Fazil Say nahe, tritt oft mit ihm auf, manchmal sogar mit anregenden Ergebnissen. Und von ihrer Herkunft her mag sie über einen erweiterten ästhetischen Horizont verfügen. Aber etwas Geschmack wäre doch nicht zu verachten…

Darauf habe ich der Leserbriefreaktion der Neuen Zürcher Zeitung folgendes geschrieben: Sehr geehrter Herr Hagmann, Sie bemängeln meinen Geschmack, weil ich das Violinkonzert von Fazil Say spiele. Ja, wenn es nach meinem Geschmack ginge würde ich nur Werke von Komponisten wie Xenakis, Scelsi, Ustvolskaja, Ligeti, Kurtag oder Boris Yoffe spielen. Und daneben neu geschriebene Musik. Aber damit löst man bei Veranstaltern nur Panik aus, tragischerweise auch bei Musikern. Und ob ich mir davon ein tägliches Birchermüesli leisten könnte bleibe dahingestellt. Fazil Say ist ein langjähriger Klavierpartner. Ich verdanke ihm unzählige verrückte und inspirierende Momente im Entdecken des grossen Repertoires. Wenn er mir nun ein in orientalischen Farben schillerndes Violinkonzert aus seiner Welt widmet, wie kann es mich nicht interessieren? Und wenn soviele Veranstalter und deren Publikum ausnahmsweise ein zeitgenössisches Werk mit derartiger Begeisterung hören wollen, wieso sollte ich es nicht spielen? Oder sollte ich mich eher z.B. für Bruch einsetzen, oder für Tschaikovsky, dessen Violinkonzert vom damaligen Kritikerpapst als stinkende Geschmacklosigkeit apostrophiert wurde und welches jetzt im sog. „guten Geschmack“ der feigen Konzertroutine vermodert? Um davon nicht selber ein Teil zu werden, sollte man sich vor Berührungsängsten hüten, denke ich. P.K.

Endgültig am Boden lag ich dann, mich vor Lachen krümend, bei dem Abschnitt hier:

Quoique dans votre troisième critique vous ne semblez de nouveau pas être d’accord je vous remercie quand-même d’etre venu et d’avertir le public de mes péchés. Comme alternative je peux vivement recommander la multitude des filles bien élevées, bien coiffées et souvent mises en scène de manière très séduisante qui jouent le violon parfaitement, sans aucune recherche, réflexion ou surprise. Donc, cher Monsieur Corley, avec elles vous ne risquerez ni agacement ni irritation.

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