Re: 20.01.2013

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wolfgang-doebeling
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KICKS ON 45 & 33

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Napoleon DynamiteA propos Farren: Schätzt du The Deviants? Ich kann mich daran erinnern, dass du mal etwas aus der „Screwed Up“-EP gespielt hast, aber zumindest in den letzten Jahren nichts aus dem Deviants-Output der 60er.

Was sind deine zehn liebsten Musik-Kritiker? Ob der Verzicht auf weitere Subterraneans-7inches nicht das noch größere Opfer ist, wäre zumindest diskutierenswert. „My Flamingo“ zählt immerhin zu meinen Top 50-Faves (thanks to Roots). Ist Kent jemals live aufgetreten?

Sorry, gerade erst gesehen, Deine recht anspruchsvollen Fragen. Ob Kent jemals live auftrat, entzieht sich meiner Kenntnis. Kann es mir eigentlich nicht vorstellen, dazu war er viel zu sehr darauf bedacht, sich keine Blöße zu geben. Murray, mit dem ihn eine herzliche gegenseitige Abneigung verband, frotzelte einmal, Kent habe sich noch vor dem Spiegel im Treppenhaus zurechtgezupft, bevor er die NME-Redaktion betrat. Und da er nunmal kein Sangeskünstler war, hätte eine Live-Performance da erheblichen Schaden anrichten können. Nur eine Vermutung, wie gesagt.

Diskutierenswert ist meine obige Präferenz allemal, klar. Aber so umwerfend „My Flamingo“ ist, so viel wichtiger war mir Kent seinerzeit als Schreiber. Im Rückblick unterliegt ein solcher Vergleich unweigerlich Verzerrungen, weil man die Single ja auflegen, genießen und sich mehr davon wünschen kann, während Gedankenfülle einst gelesener Prosa und damit verbundene Erkenntnissprünge sich nicht mehr ohne weiteres trennen lassen von den Früchten anderer, späterer Lektüre. Einzelne Artikel oder Kritiken bleiben haften, sind ja aber nur Sprossen einer Leiter. Totzdem: ist es so schwierig zu entscheiden, worauf man eher verzichten könnte, auf diese tolle 45 oder etwa auf Kents bahnbrechendes Wilson-Interview (zu einem Zeitpunkt, als die Beach Boys von der Kritik noch gönnerhaft behandelt wurden, „Pet Sounds“ inclusive)? Für mich nicht. Das eine ist punktuell euphorisierend, ein musikalisches Vergnügen, das andere vermittelte Wissen, veränderte Perspektiven, förderte Musikverständnis. Was ja wiederum zu gesteigertem Vergnügen an Musik führt, auf höherer Sprosse, um im Bild zu bleiben.

Letztlich geht es um diese Entwicklung, um die Evolution als Hörer, um Inspiration. Weshalb Deine Frage nach meinen Top10 der Musikkritiker kaum zu beantworten ist. Zwar läßt sich sagen, daß die große Zeit der Popkritik (Reflektion, Haltung, Gleichzeitigkeit, Sprachstilistik, Relevanz) in den Siebzigern lag (und damals gehörten die oben Genannten fraglos zu den besten/einflussreichsten Schreibern), Stichwort New Journalism. Doch gab es auch davor Kritiker, die nicht bloß als Rädchen im Getriebe funktionierten, als tumbe Dienstleister oder Werbetexter. Als zum Beispiel Derek Johnson anfangs der Sechziger beim NME ästhetische Kriterien für die Beurteilung heranzuziehen begann, war das unerhört und wurde von vielen Lesern als anmaßend und arrogant gebrandmarkt. Eine verlässliche Konstante übrigens in der Historie der Popkritik: die wichtigen, lesenswerten Schreiber waren stets die umstrittenen, nicht selten die verhassten. Je weniger heftig das Reaktionspendel der Leser (positiv/negativ) ausschlägt, desto nutzloser ist der Kollege. Nicht selten durchlaufen Kritiker einen solchen Prozess, sind für einige Zeit kontrovers und relevant, passen sich dann aber irgendwann an, verlieren die Fähigkeit zu polarisieren. Chris Welch etwa sorgte beim „Melody Maker“ für eine frische Brise, als er dort 1963 anfing, als junger Jazz-Buff mit Folk-Faible und einer gesunden Verachtung für dämliche Pop-Texte, allen voran die der Beatles. Fünf Jahre später vertrat er bereits reaktionäre, schnödes Handwerk verklärende Ansichten, wurde zum Sachwalter von Pomp & Circumstance. Er bereue, sich früher so „rude“ ausgedrückt zu haben, so Welch später allen Ernstes, immerhin gebe jeder Künstler immer sein Bestes, das dürfe man doch nicht einfach abkanzeln. Auch Peter Jones beim „Record Mirror“ machte eine ähnliche Aufweichung durch. Oder nimm Robert Christgau, der in jungen Jahren als selbstherrlicher Schnösel angefeindet wurde, weil er den Mut zu apodiktischen Urteilen aufbrachte, sich aber längst in fader Ausgewogenheit ergeht und heute als Instanz nur noch von Leuten anerkannt wird, die Bestätigung brauchen für den mediokren Mist, den er inzwischen gelten läßt.

Und wie die vielen fabelhaften Fanzine-Schreiber gewichten: Alan Betrock, John Tobler, Greg Shaw, Billy Miller, Miriam Linna, Lindsay Hutton, etc.? Oder John Peel, dessen Singles-Reviews in „Disc“ ich auswendig lernte? Oder Julie Burchill, deren Stalinismus fast so abstoßend war wie ihr Springsteen-Wahn, deren Texte aber nie langweilten, zumindest ein paar Jahre lang. Gillett? Hoskyns? Needs? Die Liste ist verdammt lang. Und dabei könnte ich die essentiellen „DownBeat“-Writer (Gleason, Feather, Gitler, etc.) der Vierziger und Fünfziger gar nicht berücksichtigen, weil ich sie erst wahrnahm, als ihre Texte schon fast 40 Jahre auf dem Buckel hatten. Ich beende das hier mal, eine halbe Stunde am Stück war ich in diesem Forum schon lange nicht mehr. Eine evaluierte, belastbare Top10 muß ich Dir also einstweilen schuldig bleiben, fürchte ich. Deine würde mich freilich schon interessieren: thanks.

Ach so, ich vergaß: The Deviants in den Sixties: nope, not really. Mit der Attitüde hatte ich keine Probleme, doch wurde mir ihre Musik mit zu viel Agitprop und Sloganeering beschwert, ähnlich wie die der MC5 oder der Edgar Broughton Band. Klare Sache: Mick Farren war als Kritiker ungleich wichtiger denn als Musiker. Allein sein berühmtes NME-Fanal „The Titanic Sails At Dawn“ hatte mehr (heilsamen) Einfluss auf die Pophistorie als sein gesamtes musikalisches Output, by a mile.

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