Re: Die wunderbare Welt der Oper

#8731939  | PERMALINK

Anonym
Inaktiv

Registriert seit: 01.01.1970

Beiträge: 0

Einer mehr als denkwürdigen Aufführung von La Traviata konnte ich gestern in der Staatsoper Hannover beiwohnen. Die Inszenierung stammt bereits von 2011, ich hatte zuvor aber keinerlei Kritiken hierzu gelesen und auch nicht ins Programmheft geschaut – zum Glück, die Überraschungseffekte, die man erleben konnte, hätte ich auf keinen Fall missen wollen.

Unerwartet begann es zunächst einmal, als zehn Minuten nach dem offiziellen Beginn eine Mitarbeiterin der Oper auf die Bühne kam und mitteilte, dass Nicole Chevalier (Violetta), die „das Stück alleine auf der Bühne bestreiten wird“ (in dem Moment dachte ich, das wäre ja ein wenig überzogen, es gibt ja schließlich noch andere Rollen mit einer gewissen Bedeutung), an diesem Tag von einem Virus-Infekt heingesucht worden sei (ganz offensichtlich aber nichts, was die Stimme beeinträchtigte), noch ein paar Minuten brauche. Meine Vermutung, dies gehöre bereits zum Stück und war als eine Anspielung gedacht, geht es dort doch auch um eine kranke Frau, habe ich inzwischen widerlegen können.

Fünf Minuten später kam sie dann auf die Bühne (Bühnenbild: ein Tisch zwei Stühle, eine Tür auf Rollen, ein Spiegel, ein Kleid an einer Stange, keine Kulisse) und sprach die Worte „This is for you“. Dann begann die Overtüre. So weit so normal. Sie war immer noch allein auf der Bühne. Die Party begann mit einem Knall, der Luftschlangen auf die spärlich bestückte Bühne brachte. So weit so normal. Jetzt müssten doch eigentlich mal die Gäste inklusive Alfredo auf die Bühne kommen. Taten sie nicht. Die ersten Zuschauer wollten gehen, als sich neben mir – uns trennte nur ein schmalger Gang im zweiten Rang – einige von ihnen erhoben. Ich achtete aber nicht weiter hierauf, sondern hatte meine Augen auf die Bühne gerichtet. Das änderte sich, als die inzwischen doch recht große Gruppe der sich Erhobenen neben mir zu singen begann – es handelte sich hierbei um den Chor. Ganz offensichtlich hatte die Mitarbeiterin nicht übertrieben. Violetta sollte alleine bleiben.

Chor und alle Solisten sangen von den unterschiedlichsten Stellen aus dem Zuschauerraum heraus, wobei sie abgesehen vom Chor diese auch wechselten. Da gerade die Chorszene im zweiten Akt zu meinen Lieblingsstellen gehört, war es ein besonders Erlebnis, mittendrin zu sein.

Und es verringerte die Aussagekraft der Inszenierung keinewegs, das lag schon alleine an dem Kraftakt, den die kranke Protagonistin ablieferte, die die Zerrissenheit und das Leiden der Violetta wirklich sehr anschaulich rüberbrachte und sich im Laufe des Abends allerlei Requisiten bediente, sodass die Bühne am Ende ziemlich bunt war.

Normalerweise findet die Aufführung sogar ganz ohne Pause statt, mit Rücksicht auf den Gesundheitszustand von Ms. Chevalier gab es nun aber vor dem dritten Akt eine zwanzigminütige Unterbrechung. Anschließend sprach sie wieder ein paar englische Sätze („Do you think I have a cute ass?“), ich weiß allerdings nicht, warum.

Für das wunderbare „Addio“ verließ nun auch sie die Bühne und stieg währenddessen über fünf Reihen, um es dann auf der Armlehne eines Sitzes im Zuschauerraum zu Ende zu singen. Zum Sterben ging sie wieder auf die Bühne zurück.

Das Publikum honorierte die Leistung der Sänger, aber natürlich in besonderem Maße die der Violetta. Eine so ausgelassene Begeisterung mit Standing Ovations habe ich weder bei meinen Besuchen in der jüngeren Vergangenheit in verschiedenen Opernhäusern erlebt, noch bei meinen etwa 70 Auftritten auf der Opernbühne.

Eine wirklich aufwühlende, aber tolle Inszenierung, die mich meine frühere Selbsteinschätzung, ich sei, was Inszenierungen betrifft, ein Tradionalist, nun endgültig revidieren ließ.

Video

--