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Ein Versuch, die Oper in den sechs mir vorliegenden Aufnahmen vergleichend zu hören und dabei einige Gedanken zu notieren … ich komme mir dabei etwas wie ein Hochstapler vor, aber tant pis, man rechne meine ganze Hörerfahrung ein, nicht nur die vergangenen neun oder zehn Monate, in denen ich mich mit Klassik überhaupt erst eingehend befasst habe.
Nr. 3 Arie „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“ (Tamino)
Karajan: Anton Dermota, sehr weich (fast zu weich? manchmal klingt es fast, als habe er einen fremden Akzent) – aber sehr gefühlt. Wunderbar, wie er die Stimme öffnet, mit mehr Vibrato zu singen beginnt, die Lautstärke erhöht. Toll! Das Orchester scheint mir zweckdienlich, manchmal etwas zu romantisch – die Verlockung ist wohl da bei dem Text …
Furtwängler: noch einmal Dermota, live, er singt von Beginn an lauter, die Spannung ist viel grösser (auch oder besonders im Orchester), dünkt mich, die Stimme ebenso fein wie im Jahr davor mit Karajan, wenngleich viel weniger gut eingefangen – gut genug jedoch, als dass man sich ein Bild machen kann.
Klemperer: Nicolai Gedda baut nichts auf, er ist von Beginn da, mit vielleicht etwas zuviel Härte in der Stimme? Und zuviel Vibrato, das zudem seinen Akzent eher verstärkt. Klemperer ist bewegter als Karajan.
Böhm: Die verunglückte Zauberflöte mit dem besten Tamino aller Zeiten … der Kontast zu Gedda ist gross – sie sind zwar ähnlich, aber Wunderlich gelingt all das, was Gedda gerne möchte, scheint mir. Auch Wunderlich ist gleich da, aber nie hart, nie übertrieben, sein Vibrato viel organischer, die Stimme an Wohlklang allen überlegen. Wundervoll. Aber das Orchester ist etwas schleppend-träge, dünkt mich. Engagierter als bei Karajan, näher bei Klemperer wohl, aber nicht ganz „on the same page“.
Gardiner: Michael Schade gibt den Tamino, das Tempo ist vergleichsweise rasch, die Stimme sehr schön – überzeugt mich mehr als Gedda, ist intensiver gesungen als Dermota (oder wenigstens intensiver als Dermotas Einstieg, dessen Steigerung bei Karajan ist wirklich toll gemacht!). An Wunderlich kommt aber einfach keiner ran.
Christie: Hans-Peter Blochwitz ist wohl wieder einer der eher kleinstimmigen und an sich flexiblen Sänger wie Dermota? „Ich fühl es“ singt er, aber man fühlt nichts, leider. Da brennt nichts wie bei Wunderlich (oder Gedda), da ist kein Glanz wie bei Schade.
Nr. 4 Recitativo ed Aria: O zittre nicht, mein lieber Sohn! – Zum Leiden bin ich auserkoren (Königin der Nacht)
Karajan: Die Stimme der Wilma Lipp ist wundervoll, ihr Gesang an ein paar Stellen vielleicht eine Spur zu träge? (Was wiederum mit dem Orchester perfekt passt, das trotz dem sportiven Karajan-Elan jener Zeit etwas behaglich wirkt.) Die Koloraturen sind dann allerdings phantastisch gesungen, der satte Mono-Klang der Aufnahme lässt sie auch schön rüberkommen, ohne dass es jemals scheppert (s.u.)
Furtwängler: Das Rezitativ entfaltet sich aus dem Donner- und Orchestergrollen – das alles fehlt ja leider bei Karajan, mit den Dialogen weggekürzt. Lipp klingt erneut etwas träge, aber das Orchester bietet Kontrast, es reisst den Schlund auf, in den Tamino zu fallen glaubt … und aus der vermeintlichen Trägheit entwickelt sich gegen Ende der Arie eine perfekt phrasiertes Glanzstück mit noch besser ausgeführten Koloraturen – das Orchester und selbst das Donnergrollen werden vom begeisterten Szeneapplaus fast vollständig verdeckt.
Klemperer: In der Aufnahme gibt es die mir liebste Königin: die kluge Lucia Popp. Sie singt viel intensiver als Lipp, mehr Vibrato, mehr Volumen – und sie kann das. Ihren Akzent kann sie nicht ganz verleugnen, aber das sind nur Nuancen – und die Stimme ist unfassbar schön. Das Orchester ist hier leider dick und träge, weniger bewegt als in Taminos Arie. Aber das macht nichts, die Stimme macht alles wett, die Koloraturen sind nicht aus dieser Welt!
Böhm: Wie ist das nun, muss der Gentleman auch dann schweigen, wenn er nicht geniesst? Die Arie liess mir schon beim ersten Hören die Haare zu Berg stehen – die Alarmglocken klingelten zum ersten Mal, und es wurde mir rasch klar, dass das keine gute Aufnahme ist, dass Wunderlich ziemlich allein auf weiter Flur steht, alleingelassen vom Orchester, dem Ensemble und vor allem auch dem Dirigenten. Roberta Peters wirkt im Vergleich mit Lipp nicht bloss schläfrig sondern so, als sei sie bereits eingeschlafen. Ihr eigenwilliger Akzent stört fast durchgehend. Auch bei den Koloraturen (mit falschen Vokalen – echt jetzt?) wächt sie leider nur halbweg auf. Eine schöne, wenngleich kleine Stimme, die hier völlig überfordert ist. Wenn sie dann nach den Koloraturen dieses unglaublich breite Vibrato in „ewig“ singt – das geht gar nicht, fast schon zum Fremdschämen.
Gardiner: Cyndia Sieden singt mit warmer Stimme, die Aussprache hat sie gut im Griff, die Stimme ist schön, stark und nicht dünn auch in der Höhe. Das Orchester ist phantastisch hier, präzise, mit Schwung und auf den Punkt (auch das Fagott während der Koloraturen). Sehr schön!
Christie: Die Aufnahme wirkt langsamer, lyrischer. Das passt (siehe dann die zweite Arie der Königin), denn mit Natalie Dessay hat Christie wohl meine neben Popp liebste Königin, die mit einer wundervollen Stimme ausgestattet ist und die Musik mit enormem Lyrismus darbietet – ohne vor der grossen Geste zurückzuscheuen. Die Koloraturen meistert sie so gut wie Sieden, aber mit etwas breiterem Gestus. Französischer wohl, obwohl man im Gesang wenig Akzent hört, den hört man in den Dialogen jedoch manchmal recht deutlich, nicht nur bei ihr (für ein paar Rollen wurden SprecherInnen engagiert, aber nicht für Dessay oder die Pamina der Rosa Mannion). Sehr schön gefällt mir die kleine Verzierung, die sie über dem Wörtchen „ewig“ singt (an dem Peters scheitert). Sieden singt grad durch, Dessay hat noch die Zeit für eine Verzierung, die eine perfekte Verbindung mit den Koloraturen rundherum herstellt.
Nr. 10 Aria con coro: O Isis und Osiris (Sarastro, Chor)
Karajan: Sehr gepflegt singt Ludwig Weber diese Arie … insgeheim wünsche ich mir, George London, der den Sprecher gibt, würde einspringen.
Furtwängler: Joseph Greindl singt etwas bewegter, mehr Vibrato, mehr Sicherheit und Volumen in den Tiefen – ähnlich magistral, aber weniger wohlklingend als Weber.
Klemperer: Gottlob Frick – der grosse Osmin aus der „Entführung aus dem Serail“. Grossartige Stimme, wenngleich auch ehr weniger wohlklingend als Weber, aber noch eindrücklicher, wohl nahezu ideal für diese Rolle – hätte ich gerne mal live erlebt, aber noch lieber ein Jahrzehnt früher (am liebsten seinen Osmin in Beechams Serail).
Böhm: Und es folgt die nächste grossartige Stimme: Franz Crass. Hier hält Böhm auch ohne Wunderlich mit den besten mit und Crass übertrifft sie vielleicht alle an Wohlklang – und obgleich er etwas mehr Bewegtheit wagt, klingt er fast noch magistraler und ernster als die anderen.
Gardiner: Harry Peeters gibt den Sarastro, schöne Stimme, aber er geht im Orchester leider etwas unter.
Christie: Hier gibt’s wieder einen Bass mit Durchschlagskraft, Reinhard Hagen nämlich. Wie bei Gardiner ist das Orchester ebenfalls ziemlich laut, aber man kriegt von Hagen doch ziemlich viel mit, versteht jedes Wort.
Nr. 13 Aria: Alles fühlt der Liebe Freuden (Monostatos)
Karajan: Peter Klein übertreibt arg, singt sehr ruppig und gerade die Zeile „weil ein Schwarzer hässlich ist“ scheint er noch mehr hervorzuheben. Bauerntheater. Energisch und dennoch fein die Streicher.
Furtwängler: Im öffnenden Dialog hört man die ganzen Artefakte, die bei nicht ganz sachgemässer (die EMI-Doppel-CD stammt zwar immerhin von 1994) Aufbearbeitung solcher Live-Aufnahmen entstehen können. Das Orchester ist hier noch energischer, Peter Klein gibt den Bösewicht fast noch ruppiger … und der Donner am Ende lässt die Boxen erzittern.
Klemperer: Das Tempo ist eine Spur langsamer, Gerhard Unger singt ebenfalls mit übermässig deutlicher Diktion, aber doch viel nuancierter als Klein. Kommt nicht schlecht, die Emphase des Sängers und das Orchester fügen sich gut zusammen.
Böhm: Friedrich Lenz gibt den Monostatos – und auch hier finde ich die Aufnahme gut, aber das ist ja wahrlich Hölle Glut … äh, wahrlich ein Nebenschauplatz. (Lenz singt allerdings beinah „eine Waise nahm mich ein“ … aber dafür „weißßßß ißßßt schschschön“). Die Emphase gehört zu der Rolle, Unger gefällt mir darin am besten von den Alten.
Gardiner: Das Tempo ist heftig, das Orchester (inklusive die wirklich hörbaren Flöten) sehr bewegt. Uwe Peper gibt den Monostatos. Eine runde Sache, wie die ganze Gardiner-Aufnahme. (Und der Donner weckt hier die Nachbarn aus dem Mittagsschlaf.)
Christie: Leider singt (und spricht) Steven Cole mit üblem Akzent, er kriegt die Artikulation kaum hin, gestaltet die Vokale eigenartig. Für mich einer der wenigen Momente, in denen die Christie-Einspielung unten rausfällt. Die Dialoge drum herum sind mir dann ebenfalls negativ aufgefallen, weil wie gesagt Dessay und Mannion auch nicht gerade akzentfrei Deutsch zu sprechen in der Lage sind.
Nr. 14 Aria: Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen (Königin der Nacht)
Karajan: Sehr rasch nimmt Karajan die pièce de résistance, Lipp hat kaum Zeit, die Worte zu gestalten, sie muss einfach singen … das allerdings tut sie, schlank, wohl mit ein paar ganz kleinen Unsauberkeiten auf dem Weg in die Koloraturen. Aber das, was hier einfach so durchgerattert wird, ist eine grosse Sache. Schade, dass Karajan nicht die Musse hatte, dass man sich dessen auch bewusst wird. Der Moment, in dem die Arie bei „alle Bande der Natur“ hängenbleibt, finde ich einen der grössten, die ich kenne, aber auch der wird bei Karajan nicht sehr ausgestaltet.
Furtwängler: Hier ist der Klang für mich ein Hindernis. Man kann das gut hören, aber die hohen Töne schmerzen zumal auf Kopfhörern. Lipp erhält von Furtwängler viel mehr Zeit, die Musik kann atmen, es gibt Räume zwischen den Noten – so soll das sein! Ich fühle mit Furtwängler, wenn er Legge zürnt, dass dieser Karajan für die Studio-Produktion engagiert hatte – denn hier, im direkten Vergleich, wird klar, wie gross die Unterschiede doch sind, auch wenn Karajans Einspielung gewiss keine schlechte ist. Gerade die schöne Stelle, dieses kantilenenartige Linie über „alle Bande der Natur“: Furtwängler modelliert, gestaltet, lässt der Sängerin Raum – und der tosende Applaus ist natürlich einmal mehr völlig berechtigt.
Klemperer: Popp, was soll ich sagen … unfassbar einmal mehr, auch wenn es dem Orchester etwas an Schwung und Schmiss mangelt (es ist, wie soll ich das sagen, etwas zu ausgeglichen, etwas zu satt?). Popps Stimme ist aber so unfassbar schön, ihr Gesang von solcher Reinheit (obwohl man den schweren Akzent hier stärker bemerken kann: „Der Hölle Rache cocht“, „Todesschmerrzän“, „meine Dochter“) … die Arie kann ich eine Stunde lang Wiederholen und es wird mir nicht langweilig dabei. Klemperer lässt auch recht viel Raum zur Gestaltung, die kleinen Orchestereinsätze zwischendurch sind sehr fein, der Übergang in „alle Bande der Natur“ ist dann wieder etwas heftig, aber wie Popp da in die Koloraturen einsteigt ist unfassbar.
Böhm: – Wem das nicht reicht: Da stimmt nichts, das Tempo ist zu rasch und Peters wabert, mal hinterher und eine Silbe weiter ist sie schon wieder voraus, die Stimme klingt quietschig dünn, aber wenn sie dann laut singt („verstossen … verlassen …“) klingt sie zu bauchig, was mit den fiepsigen Höhen einen eigenartigen Effekt ergibt. Und auch die zweite Hälfte wird nicht besser. Man wünscht sich, sie hätte ein Metronom zum Üben gehabt.
Gardiner: Auch Sieden hat nicht das Volumen der Popp, aber sie weiss mit ihrer Stimme umzugehen, sie einzusetzen. Der Einstieg in die Arie ist etwas rasch, aber Gardiner zieht das durch, das Orchester klingt sehr leicht und das Tempo zieht, Sieden hält locker mit und singt die Koloraturen scheinbar ohne Anstrengung. Beim zweiten Teil schreitet mir Gardiner aber etwas zu gradlinig hindurch.
Christie: Das Tempo ist merklich langsamer – und dadurch kommt die grosse Schönheit der Musik zum Vorschein. Dessay singt phantastisch, zusammen mit Christie und dem auch im langsameren Tempo nach vorn spielenden Orchester modelliert sie die Arie, gerade der Moment, der mir so gut gefällt, ist hier so schön ausgestaltet wie in keiner der anderen Aufnahmen.
Nr. 17 Aria: Ach, ich fühl’s, es ist verschwunden (Pamina)
Karajan: Im Wiener Mozart-Ensemble gab Irmgard Seefried die Pamina. Sie singt mit einer unglaublichen Traurigkeit in der Stimme, Karajan gibt ihr netterweise einigen Raum, so kann sie ihre Klage sehr behutsam gestalten – beeindruckend.
Furtwängler: Erneut Seefried, fast noch stärker gefühlt, noch langsamer, mit mehr Freiraum zur Gestaltung. Leider macht mir hier die mangelnde klangliche Qualität der Aufnahme halbwegs einen Strich durch die Rechnung.
Klemperer: Gundula Janowitz … eine weitere phantastische Version – weniger langsam als bei Furtwängler, vielleicht eine Spur weniger tief empfunden als bei Seefried, aber die Stimme ist grossartig – das allein reicht nicht an jedem Tag, aber an manchen schon.
Böhm: Evelyn Lear macht ihre Sache hier eigentlich ganz gut, aber ich empfinde von ihrer Trauer eher noch weniger als bei Janowitz (wo sie schon da ist). Lears Stimme hat allerdings gerade im Vergleich nicht sehr viel zu bieten, klingt wenig wandelbar, ziemlich dünn und eindimensional.
zudem, hier dazwischengeschoben, weil’s einfach passt: Lucia Popp mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Bernard Haitink (BR/EMI, rec. 1981, ich höre CD 12 der ICON von Popp, da ist aus der Gesamteinspielung nur dieser eine Auzug drin, Gruberovas Königin würde ich wohl auch mal gerne hören, scheint insgesamt eine durchaus hörenswerte Einspielung zu sein): Kaum erklingt das „Ach“ habe ich Gänsehaut – die Stimme hat bei ihrer unglaublichen Klarheit auch eine grosse Wärme, das Orchester klingt etwas engagierter als in den älteren Einspielungen, aber ohne dass es stören würde.
Gardiner: Langsam stellen sich Ermüdungserscheinungen beim geneigten Hörer ein … aber Christiane Oelze singt wundervoll – behutsam und tief empfunden. Das Orchester ist leise, zurückhaltend.
Christie: Rosa Mannion scheint sich leider vor einiger Zeit schon von der Bühne zurückgezogen zu haben, bei Gardiner gab sie 1992 die Dorabella in „Così fan tutte“. Sie singt ebenfalls sehr behutsam, aber mit grösserer Stimme, zupackender, ist mehr Körper als Gedanke. Auch sie überzeugt mich sehr.
aus Nr. 21 Finale: 29. Auftritt: „Papagena! Papagena! Papagena!“ (Papageno) & „Pa-Pa-Pa“ (Papageno/Papagena)
Karajan: Der Vogelfänger und sein Weibchen/Täubchen geben bei Karajan Erich Kunz und Emmy Loose. Das Orchester ist klasse in Papagenos Arie, Kunz hat eine wunderbare, warme Stimme. Da passt alles, aber eine Prise mehr Humor hätte der Gestaltung der Rolle gewiss gutgetan. Loose singt im Duett irgendwie komischerweise etwas fiepsig aber dennoch mit kraftvoller runder Stimme.
Furtwängler: Auch bei Furtwängler gibt Kunz den Papageno – aber er wirkt hier insgesamt sehr anders, lässt da und dort eine Prise oder mehr von seinem Wiener Schmäh einfliessen, stellt den kuriosen Vogel eben mit dem Humor dar, der mir bei Karajan etwas fehlt. Bei Furtwängler wird einem streckenweise vor lauter Walzer beinah schwindlig. Die Szene ist sehr viel stärker gestaltet als bei Karajan, man kriegt, so bildet man sich ein, einiges von der Live-Atmosphäre mit. Edith Oravez gefällt mir besser – auch hier passt alles, auch die Klangqualität ist ganz in Ordnung, man hört die Stimmen jedenfalls und sie fügen sich wunderbar zusammen, auch mit dem Orchester.
Klemperer: Walter Berry singt mir etwas zu überprononciert, aber seine Stimme passt – man wünscht sich diese lebendige Qualität für die Furtwängler (und auch für die satte aber flache Karajan) Einspielung. Das Orchester ist hier aber weniger beschwingt, jedoch gestaltet auch Klemprerer viel stärker als Karajan und das Duett von Berry und seinem Ebenbild (gesungen von Ruth-Margret Pütz) gelingt sehr schön.
Böhm: Dietrisch Fischer-Dieskau, der Intellektuelle, der den Waldmenschen mimt … ein weiterer Fehler der Böhm’schen „Zauberflöte“, auch wenn die Stimme schön klingt. Mit dem Humor klappt das dann auch nicht so recht … manches wirkt zu betont, andernorts klingt er wie ein Liedsänger, der sich auf die Bühne verirrt hat (und gerade deshalb gibt es wiederum Passagen, die ganz phantastisch geglückt sind). Lisa Otto gibt die Papagena, und sie überzeugt. Das ist ja vielleicht Teil der Ironie bei Böhm: die Nebenrollen sind zu weiten Teilen hochkarätig, aber Lear kommt halt so durch, Peters passt gar nicht und DFD ist fehlbesetzt. Dagegen ist Wunderlich phantastisch, Crass und Hotter ebenfalls gut, aber mit einem halbschläfrigen Orchester und einem nicht sehr engagierten Dirigenten führt das nicht weit (das ist keine Breitseite gegen Böhm, nur eine gegen diese „Zauberflöte“ – Böhms „Le nozze di Figaro“ gefällt mir, und nachdem ich zum Einstieg wohl die falsche seiner „Cosìs“ gekauft hatte, habe ich inzwischen noch zwei weitere gekauft … ich traue ihm durchaus einiges zu – aber nicht hier).
Gardiner: Gerald Finley gibt den Papageno, das Orchester spielt beschwingt, die ganze Szene ist sehr schön gestaltet, die Traurigkeit („nun wohlan … gute Nacht, du falsche Welt“) ist so spürbar wie sonst selten – vielleicht ist das ein Fehler, den Narren mit echtem Gefühl auszustatten, statt ihn nur von sich selbst behaupten zu lassen, er sei „der beste Geist der Welt“ und habe, wie Pamina ihm attestiert, „ein gefühlvolles Herz“. Aber mir gefällt’s hier bei Gardiner sehr. Das Duett mit Papagena (Constanze Backes) ist ebenfalls gelungen.
Christie: Mit Anton Scharinger hat Christie einen grandiosen Papageno, der wieder den ganzen Schmäh mitbringt und die Figur sehr humorvoll gestaltet, wie dies Kunz unter Furtwängler einst tat. Die Arts Florissants spielen hier ebenfalls beschwingt, aber insgesamt wohl mit wärmerem Klangbild und etwas weniger durchsichtiger Klarheit als Gardiners English Baroque Soloists. Die drei Knaben sind leider einer der weiteren kleinen Schwachpunkte bei Christie, da sie mit argem Akzent sprechen (es handelt sich immerhin auch wirklich um Knaben, anderswo werden die Rollen so elaboriert und in der Mehrstimmigkeit so fein austariert dargeboten, dass die Idee, es könnte sich dabei um Knaben handeln, sehr weit entfernt ist). Das Duett mit der Papagena von Linda Kitchen ist dann jedoch wieder gelungen, auch dank Kitchens phantastischer Stimme – sie kriegt das mit dem breitesten Vibrato hin und harmoniert perfekt mit Scharinger. Eindrücklich! Aber das mit den hervorragende besetzten Nebenrollen gilt wohl auch für Christie, es tauchen da Leute auf, die in anderen Programme der Arts Florissants auch solitisch zu hören sind – trotz zugezogenen Sängern scheint mir, merkt man der Aufnahme insgesamt doch einen starken Ensemble-Charakter an, der sich z.B. bei Klemperer so gar nicht einstellen will. Bei den beiden Wiener-Aufnahmen ist das natürlich auch der Fall, und bei Gardiner scheint mir die Besetzung insgesamt am ausgeglichensten zu sein – es gibt keine ganz grossartigen Momente wie Dessays Königin, aber auch keine Ausreisser nach unten.
Nun, das war’s … also, angefangen habe ich um halb 11 mit Gardiners „Zauberflöte“ – ein sehr spannendes Unterfangen, ich hoffe, dass jemand sich durch all meine Tippfehler lesen mag
Die Aufnahmen:
Herbert von Karajan, Singerverein der Musikfreunde in Wien, Wiener Philharmoniker (EMI, rec. Wien 1950)
Tam: Anton Dermota, Pam: Irmgard Seefried, Papo: Erich Kunz, Kön: Wilma Lipp, Sar: Ludwig Weber, Spr: George London, Papa: Emmy Loose, Mon: Peter Klein
Wilhelm Furtwängler, Chor der Wiener Staatsoper, Wiener Philharmoniker (EMI, rec. live, Salzburger Festspiele 1951)
Tam: Anton Dermota, Pam: Irmgard Seefried, Papo: Erich Kunz, Kön: Wilma Lipp, Sar: Josef Greindl, Spr: Paul Schöffler, Papa: Editz Oravez, Mon: Peter Klein
Otto Klemperer, Philharmonia Chorus (Wilhelm Pitz), Philharmonia Orchestra (EMI, rec. London 1964)
Tam: Nicolai Gedda, Pam: Gundula Janowitz, Papo: Walter Berry, Kön: Lucia Popp, Sar: Gottlob Frick; Spr: Franz Crass, Papa: Ruth-Margret Pütz, Mon: Gerhard Unger
Karl Böhm, RIAS-Kammerchor (Günther Arndt), Berliner Philharmoniker (Deutsche Grammophon, rec. Berlin 1964)
Tam: Fritz Wunderlich, Pam: Everlyn Lear, Papo: Dietrich Fischer-Dieskau, Kön: Roberta Peters, Sar: Franz Crass, Spr: Hans Hotter, Papa: Lisa Otto, Mon: Friedrich Lenz
John Eliot Gardiner, The Monteverdi Choir, The English Baroque Soloists (Archiv Produktion, rec. 1995/1996)
Tam: Michael Schade, Pam: Christiane Oelze, Papo: Gerald Finley, Kön: Cyndia Sieden, Sar: Harry Peeters, Spr/1. Priester: Detlef Roth, Papa: Constanze Backes, Mon: Uwe Peper
William Christie, Les Arts Florissants (Erato, rec. Paris 1995)
Tam: Hans Peter Blochwitz, Pam: Rosa Mannion, Papo: Anton Scharinger, Kön: Natalie Dessay, Sar: Reinhard Hagen, Spr: Willard White, Papa: Linda Kitchen, Mon: Steven Cole
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba