Re: "Ich will Spaß" oder Kunstlied 2.0 – wie hältst du’s mit der Popmusik?

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friedrich

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Gerade erst gesehen, dass hier ein neuer Thread aufgemacht wurde.

Ich habe im Retromania-Thread ja eine Sichtweise auf Pop als Kunstlied 2.0 („Oberfläche, Hallraum, Referenzhölle“, das hatte ich im Suicide-Thread auch schon mal zitiert) unterstützt und beworben. Ich würde das auch nach wie vor so oder so ähnlich formulieren, denn bei 30 Jahren persönlichen Popkonsum, durch den ich mir zumindest rudimentäre Kenntnisse von Popkultur des 20. Jahrhunderts bis zurück zu Blues und Jazz der Vorkriegszeit (und Film und Tanz und Kunst und Subkulturen etc. ff. der verschiedensten Schattierungen) angeeignet habe, bleibt eine solche Sichtweise einfach nicht aus. Pop hat eine Geschichte, die in vielen Fällen auch ablesbar ist und die Pop bereichert. Die ihn in vielen Fällen eigentlich auch erst ausmacht.

Mir fällt ein Beispiel ein, dass mir fast schon zu plump vorkommt, aber vielleicht ist es einfach auch bloß sehr treffend: Irgendwo – ich glaube bei allmusic – wird Tom Waits verglichen mit / beschrieben als „Howlin‘ Wolf sings Brecht/Weill“. Da denke ich doch: Großartig auf den Punkt gebracht! Und wer sowohl Howlin‘ Wolf kennt als auch Brecht/Weill, ist hier als Popkonsument klar im Vorteil. Das ist eine Bildungsvoraussetzung, die mag zwar nicht für jede Art von Pop notwendig oder vorteilhaft sein, aber in diesem Falle und vielen anderen ist sie das.

Ich will aber auch gleichzeitig sagen, dass es ein fast völlig voraussetzungsfreies und unmittelbares Hören geben kann und gibt. Ich habe vor kurzem das sehr gute Buch DER KLANG DER FAMILIE über die Entstehungszeit von TECHNO um die Zeit des Mauerfalls in Berlin gelesen. Ein bisschen habe ich das selbst miterlebt und bin öfter mal im UFO und im TRESOR gewesen. Ich habe damals nie gewusst, welches Stück dort gerade gespielt wurde, ich wollte es auch nie wissen, das hatte auch überhaupt keine Bedeutung. Es zählte nur die Euphorie des Augenblicks. Eine unmittelbare sinnliche Erfahrung, die solange anhielt, wie die Musik spielte. Und dann kam was anderes. Und das war gut so. Ich gehe immer noch hin und wieder tanzen und das ist genau das, was ich dann erleben möchte. Auch das ist Pop.

Inzwischen hat auch Techno (und andere Tanzmusik) eine eigene Geschichte entwickelt. Kann man wahrnehmen, muss man aber nicht. Auf dem dancefloor sollte das einem im günstigsten Fall egal sein. Zwei Pole, zwischen denen sich Pop bewegt. Auch das ist etwas, das Pop mit vermutlich allen anderen Künsten gemein hat.

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)