Startseite › Foren › Die Tonträger: Aktuell und Antiquariat › Aktuelle Platten › 2013 – Erwartungen und Eindrücke › Re: 2013 – Erwartungen und Eindrücke
Jan Lustiger
Shaking the Habitual ist eine pure Umkehrung dessen, was es kritisieren will; eine reine Negation, die dadurch die Mängel des kritisierten Sachverhalts mit übernimmt und nur in eine andere Richtung lenkt. Es gibt sich progressiv und ist regressiv. Besonders frustrierend ist dabei, dass a) die Klangästhetik der Platte durchaus faszinierend ist, weshalb meine Wertung auch bislang nicht gänzlich in den negativen Bereich abgedriftet ist, und b) dass jemand 40 Jahre nach Ziggy Stardust eine Platte machen kann, die derart humorlos und eindimensional mit der Gender-Thematik umgeht, ja im Prinzip nur verschachtelt 23 Jahre alte (Butler) und noch ältere (Foucault) Theorien wiedergibt, und das dann als große Innovation gefeiert wird. Dieses Album ist konservativer als seinen Machern lieb ist.
Eine hochinteressante Interpretation, die für mich auch ein wenig verwunderlich ist, da „Shaking the habitual“ ja in Wahrheit ein nur entfernt textbasiertes Stück Kunst ist, sondern zur Hälfte aus wilden, extrovertierten, verstörenden, impulsiven, giftiggarstigen Beats, Pop- und Dronesounds besteht. Um ehrlich zu sein, fällt mir der lyrische Zugang zu diesem Werk wahnsinnig schwer, da Andersson, ganz entgegen den sehr greif- und spürbaren Bilderwelten von „Fever ray“ hier zuweilen doch sehr elliptisch, fast kryptisch formuliert und für mich nur die wenigsten Tracks durchaubar sind. Dass der Inhalt sehr politisch gefärbt ist, habe ich gelesen, beim Genuss des Albums selbst hingegen aber kaum wahrgenommen. Und irgendwann habe ich mich auf selbige auch nicht mehr zu sehr konzentriert, da dieser aufrüttelnde, stoische Wolkenbruch von Album für sich genommen bereits eindrucksvoll genug ist. Von Karins stimmlichen Anwandlungen nicht zu sprechen! Wie in „A tooth for an eye“ etwa hübscheste Popmelodien eingraviert sind (ich musste bei diesem sehr direkten und doch diskreten Ambiente sogar manchmal kurz an Talk Talk etwa zur Zeit von „The colour of spring“ denken) oder „Without you my life would be boring“ fast hyperventiliert (ein Percussion-Monster!) ist schon großartig. Die Magie von The Knife ist für mich allerdings in „Full of fire“, genaugenommen in ein paar wenigen Sekunden gebannt (1:23-1:33), in denen mir klar wird, wie eindrucksvoll die Beiden hier Lage über Lage legen, wie dezent hier ein paar Polungen an der Frequenz das Klangbild völlig verzerren und wie spielend das alles geschieht.
Das Album hat allerdings ein paar gewaltige Längen. Und rüttelt dennoch ziemlich an meinen Hörgewohnheiten. Ich finds gut (****).
--
Hold on Magnolia to that great highway moon