Re: Retromania | ist Pop tot?

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friedrich

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Gerade mal in der eigenen Plattensammlung gestöbert und auf THE RED LINE von Trans Am aus dem Jahr 2000 gestoßen. Ein review dazu liest sich so:

„Komischer Plattentitel. Wenn dieser Trans Am-Platte nämlich etwas fehlt, dann der rote Faden. Es hat ja schon viele heterogene Platten gegeben, die gerade wegen ihrer Sprünge als epochal gelten, angefangen beim „Weißen Album“ der Beatles – aber diese Sammlung von 21 Nummern klingt nach einem total ratlosen, aus bloßen Ideenfetzen zusammengesetzten Flickwerk. Hitverdächtiges wie „I Want It All“ mit Vocoder-Gesang – ganz die Console-Manier – wechselt ab mit Stücken, die aus bloßem Feedback-Brummen und rückwärts laufenden Bändern bestehen. Auf Heroin-Space-Drone mit Anklängen an Jesus & The Mary Chain und Spacemen 3 folgt eine Folk-Akustik-Ballade, die (und dies auch nur für Eingeweihte) verdeutlicht, welchen großen Einfluss Gitarristen wie John Fahey und Leo Kottke auf die gegenwärtige Chicago-Szene im allgemeinen und auf Jim O’Rourke als deren Mentor im besonderen hatten. Mit dabei auch: bewusst muffig aufgenommener Slo-Mo-Noiserock nach Melvins-Rezept, Nummern voller Hippie-Getrommel und Gitarrengeklimper, die Amon Düül-Hölle zum Quadrat, aber auch kühle Synthie-Wave-Stücke, distanzierter, auf Entfremdung machender Roboter-Style, frei nach Gary Numan und Tuxedomoon. Was also soll man von einer Platte halten, die Stile und Pop-Epochen wie dahingeblätterte Karten präsentiert, ohne eine Spielregel erkennen zu lassen? Gibt sich da nicht allenthalben totale Ratlosigkeit zu erkennen?

Genau das ist der Fall, und genau diese Offenbarung des Scheiterns macht „Red Line“ zu einer ganz tollen Platte, auf der Trans Am frech und mutig genug gewesen sind, all ihre Einflüsse gerade mal kurz anklingen zu lassen, ohne sie als großen Wurf zu präsentieren. „Red Line“ hat fabelhaft verstanden, mit dem Gemeinplatz umzugehen, dass im Pop nichts Neues mehr möglich sei, sondern das Neue nur noch als Zitat, sozusagen postmodern, gebrochen und eklektizistisch – blabla. Auf diese Weisheit, die seit Jahren für Druckerschwärze in den Feuilletons sorgt, machen sich Trans Am einen Witz, indem sie so fragmentarisch, zerrissen, zitathaft und uneinteilbar wie nur möglich vorgehen und also alle Erwartungen an „Postrock“ im Sinne von Weder-Noch erfüllen. Wer all das allerdings nicht nur auf Zitate abklopft, sondern zuhört, muss am Ende feststellen, dass die Musik im Detail ganz schön krabbelt, flimmert und zuckt. Das, was die Rockisten immer noch gerne und immer im Falschen suchen, die Intensität und das sogenannt Authentische, findet sich auf „Red Line“ gerade im Zitat und im Fragment. Zu zeigen, dass es nur dort überhaupt noch möglich ist, ist verdienstvoller, als so etwas Halbherziges wie ein „Bandprofil“ auszubilden.“

Martin Büsser / Intro

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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)