Re: Retromania | ist Pop tot?

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otis
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Beiträge: 22,557

Ich verstehe die Problematik eigentlich noch immer nicht.
Wenn ich dem Pop Retro-Attribute zuschreibe, bedeutet es doch, dass ich Popmusik als solcher irgendwelche musikalischen Attribute zuschreibe (die laut These nun mehr und mehr in Richtung „retro“ gehen sollen). Pop also als musikalisches Phänomen.
Was aber, wenn man Pop versteht als massenkulturelles Phänomen (hier auf Musik bezogen, aber auch zu beziehen auf Film, Computerspiel etc.), dann kann man doch nicht von musikalischen Eigenschaften ausgehen, sondern dann ist alles Pop, was die Menschen aktuell bewegt, von Scott Walker bis Andrea Berg. Spannend ist dann: wie viel Konsens gibt es, wie groß sind die Schnittmengen, wo sind die Schnittmengen (musikalisch, hörergruppenbezogen etc.)?
Nicht Pop wäre dann „retro“, und schon gar nicht der komplette, sondern „retro“ wäre ein Zeichen der Zeit, wohl gemerkt nur eines.
Und wenn nun ein Jake Bugg derart viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, dann ist das möglicherweise einer Sehnsucht nach Musik von früher geschuldet, kann aber auch nur Zeichen einer gewissen Richtungslosigkeit, was Massenkultur anbelangt, sein, könnte aber auch darauf hindeuten, dass die öffentliche Auseinandersetzung mit Pop qua Medien per se „retro“ ist, weil sie noch immer nach Massenkompatibilität sucht, wo es längst keine mehr gibt und keine mehr geben muss. Denn die große Zeit des Pop fand unter soziokulturellen Umständen statt, die in meinen Augen keine wünschens- oder erstrebenswerten waren oder sein sollten.

Für mich hat also Pop als Phänomen, zumindest im musikalischen Bereich, eher ausgedient, als sich die Retro-Frage sonderlich stellen würde. Pop findet nur noch in kleinen Nischen statt oder auf ganz anderen Gebieten.
Fundamentale Popphänomene wie Abgrenzung, Suche nach Gemeinsamkeit, Identifikationsangeboten, Standortbestimmung etc., die früher einmal von hohem Belang und einiger gesellschaftlicher Relevanz waren, haben heute doch fast vollständig ausgedient, so dass sich die Frage nach einer möglichen gesellschaftlichen Bedeutung doch von vornherein erübrigt.
Ja, fällt der Vorwurf an Pop, er sei Retro, nicht sogar auf den Urheber zurück, da er einer rückwärtsgewandten Popästhetik entspringt, die in der Gesellschaft von heute längst obsolet geworden ist.

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