Re: Retromania | ist Pop tot?

Startseite Foren Kulturgut Das musikalische Philosophicum Retromania | ist Pop tot? Re: Retromania | ist Pop tot?

#8682839  | PERMALINK

friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

Beiträge: 4,882

tolomoquinkolomRetroxy!?

Ich mag nach der Sampling-Geschichte nicht wieder einen Exkurs starten, daher nur so viel: für mich sind die Alben ROXY MUSIC und FOR YOUR PLEASURE nicht retro, denn beide Werke enthalten neben zwitschernder Elektronik, Elvis-Schmalz und Pop-Glitter auch Ironie. Letztere sehe ich in dem, was du im Bezug auf das glamouröse Cover Karl Stoeckers Karikatur nennst, eine Hommage des ex-Kunststudenten Bryan Ferry an Gil Elvgren bzw. an Mel Ramos ist und als Kunstaneignung Pin-ups in andere Medien transformiert. Genau diese ironische – mitunter lakonische – Brechung stellt jenen bereits vorher erwähnten kreativen Eigenanteil von Künstlern dar, der (in diesem Fall) sogar so weit reicht, dass er innovativ auf andere wirkt (New Wave, Ambient).

Das Innencover des Albums FOR YOUR PLEASURE weist deutlich auf die personelle Aufgabenverteilung hin: während die eine Hälfte in ihren Monturen wie Kraftwerksarbeiter wirken (Manzanera und Thompson), sieht man die andere als Diva (Eno), Raumschiffbesatzung (Manzanera) und Elvis (Ferry) – übrigens alle mit Gitarren bewaffnet. Dazwischengekommen ist den beiden Arbeitersöhnen Ferry und Eno dann allerdings ihr Ego. Interesse an Zukunft, die Experimentierlust (Synthesizer, Samples, Tapes) und musikalische Vorwärtsbewegung (Ambient, Minimal) des einen passte nicht länger zum Interesse an Vergangenheit, zur Erfolgs- bzw. Besitzstandswahrung, dem Hang zu Ästhetizismen und dem musikalischen Rückwärtsdrang (Crooner, Fashion, Coverversionen) des anderen.

Sehr schön formuliert, tolo,

und dem möchte ich auch nicht widersprechen. Eher möchte ich ergänzen oder bestätigen, dass die auch von Dir hier diagnostizierte Rückbezüglichkeit Roxy Musics – sowohl was die Musik, das styling der Band, als auch das Cover Design betrifft – natürlich eine kreative Leistung ist. Ich möchte mich nicht auf den Begriff „retro“ versteifen und schon gar nicht eine pauschale Wertung dieses Begriffes vornehmen. Ich bin ja vielmehr der Auffassung, dass die bewusste und geistreiche Rückbezüglichkeit auch im Pop diesen nur bereichert. Ich das bei Roxy Music sogar in besonders schöner Weise verwirklicht.

Im Jahr 1972 sah sich Pop mit den Augen von Bryan Ferry und Eno selbst im Spiegel und erkannte, dass er eine grotesk schillernde Schönheit ist. Glanz und Elend, Aufstieg und Dekadenz, Rausch und Kater, das alles lag nahe beieinander. Musik von und für narzisstische Großstadthedonisten – Kunstlied 2.0.

Ich empfinde den vermeintlichen Bruch zwischen den ersten beiden Alben und den späteren übrigens gar nicht als so stark. Das hört sich für mich eher wie ein Reifeprozess an und gerade die letzten beiden Alben FLESH & BLOOD und AVALON schätze ich in ihrer urbanen Eleganz sehr.

„Here´s looking at you kid
Hard to forget
Here´s looking at you kid
At least not yet
Your memory stays
It lingers ever
Will fade away never“

(2HB – was ausbuchstabiert TO HUMPHREY BOGART heißt – Roxy Music, 1972)

Nachgereicht zwei in ihrer Widersprüchlichkeit sehr amüsante Zitate aus dem Roxy Music Thread:

KritikersLieblingRoxy Music haben mit dem Cover von „Jealous Guy“ eine wunderschöne Ballade. Ansonsten halte ich sie für eine Ästheten-Designer-Band für Aktionäre und Bankangestellte. „Money For Nothing“

otisdas ist jetzt mal gut, kl. ich kann mich noch exakt erinnern als die erste roxy (und ich rede nur von der ersten!!!!) rauskam. es war für mich eine offenbarung. im nachhinein würde ich sagen glampunk. sie hatte power bis zum geht nicht mehr (virginia plain), ein tolle emotionsarme kälte, die als solche gemeint war, und echte könner. es war abolut kein l’art pour l’art. es war eine absage an die klassische rockmusik mit ihrer mittlerweile klischeehaft gewordenen emotionalität. es war ein spiel mit zitaten, ein spiel mit den großen gefühlen, ein spiel mit den großen auftritten. es war vielleicht die erste post-moderne rockplatte (wenn man sich mal auf diesen begriff einlassen möchte!)(…)

--

„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)