Re: Retromania | ist Pop tot?

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nicht_vom_forum

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tolomoquinkolom
Sampling ist Rückgriff (und in diesem Sinne retro). Eher Zapping-Tool der Künstlichkeit als der Kunst. Mehr Trödelladen als Kreativ-Workshop. Beim Sampling wird von den Hervorbringern nichts real nachgespielt bzw. interpretiert – wie es z.B. beim nacheifern junger Künstler oder Bands ihrer Vorbilder der Fall ist -, sondern bereits fertiges Material, also vorhandene und vorrätige Artefakte (Stimme, Instrument, Musikstück, Excerpt) zurückliegender Pop-Historie kopiert und dupliziert. Künstlerisches Handwerk oder Handschrift haben keinerlei Bedeutung (nicht nur die Cut- & Mix-Technik im Hip-Hop kommt aus musikalischer Sicht ohne besondere handwerkliche Geschicklichkeit aus). Der Unterschied liegt also in der Aneignung.

Ein weiterer Aspekt im Zusammenhang mit Innovation, Ästhetik, Kreativität, Klangvielfalt, der Sampling-Technik und elektronischer Popmusik wäre die digitale Klangerzeugung als perfektes Imitat anderer, nichtelektronischer Instrumente. Im Sampling-Land der Fälschungen, Simulationen und Illusionen entsteht mittels Software-Emulation mit Hilfe eines Keyboard-Interface z.B. ein Saxophon-Solo oder auf Tastendruck auch schon mal eine komplette Holzbläser-Sektion oder gleich ein ganzes virtuos ‘aufspielendes’ Fake-Orchester.

Auch wenn’s nicht Pop ist: Wie ordnest Du denn an der Stelle den Dirigent eines klassischen Orchesters (oder z. B. den Arrangeur einer Big Band) ein? Der „spielt“ sein „Instrument“ (also das Orchester) auch komplett ohne handwerkliches Geschick, nutzt fremdes (Noten-) Material und die Klangfarben mit denen er arbeitet sind so standardisiert (über Jahrhunderte), dass man schon fast von Samples reden könnte.

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