Re: Retromania | ist Pop tot?

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tolomoquinkolom

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Beiträge: 8,651

Blitzkrieg BettinaIch finde das Ganze weniger interessant, denn es war ja nun nicht gestern dass aus Jamaika wichtige Impulse kamen…

Diese Impulse, die da angeblich kamen und einen innovativen oder nachhaltigen impact auf Popkultur und Popmusik gehabt haben sollen, müsste man mal suchen. Wo ist da nach deiner Meinung etwas hängengeblieben? Schön, Bob Marleys schlurfender Reggae (und der Anderer) war und ist immer wieder ein feines Sommer-Accessoire, aber doch nicht mehr. Und was z.B. die Londoner Reggae-Exerzitien von The Clash angeht: nur ganz selten hat etwas noch weniger zusammengepasst wie der durch gesellschaftliche Umstände aufgescheuchte Punkism, der als musikalisch-nonkonformistische und gesellschaftskritische Rebellen-Attitüde auf eine Haile-Selassie-Erlöserverehrung aus der Karibik mit alttestamentarischen Bezügen und einknickenden Knien traf.

Herr RossiWie kommst Du darauf? Auch und gerade in den 60s war die visuelle Ebene von Pop ungeheuer wichtig und definierte die „global chicness“. Und natürlich „verkaufte“ man Künstler auch damals über Bilder – TV-Shows, Kinofilme, Scopitones, Zeitschriften, Poster, Autogrammkarten, Platten-Cover/Sleeves usw.

Klar, die visuelle Seite von Popmusik war immer wichtig. Über Clips und wie sie die Popmusik verändert haben, genauer gesagt: wie visuelle Aufnahme von Musik das Hören verändert hat, wäre nachzudenken.

Vielleicht kannst du mir dahingehend zustimmen, dass es einen Unterschied macht, ob man mit dem Bilder-Verkauf und den von dir angeführten Werbewaffen Popmusik vermarket, oder ob man dies unter Zuhilfenahme aggressiven Dauereinsatzes in Netzwerken bzw. auf Clip-Plattformen tut. Der Marketing-Vorlauf eines Release hat nicht selten Ähnlichkeit mit Invasionsplänen. Da geht es gar nicht mehr so sehr um Popmusik, sondern um Branding, Gossip, Marktanteile, Verdrängung und Konzernmacht. Entsprechend wird auch für die generalstabsmäßige Präsentation von acts und die Clip-Visualisierung von Popmusik nicht selten ein größerer finanzieller Aufwand betrieben, als für die Musik selbst.

Nicht dass das Ganze früher eine große Harmonieweide war, auf der die beteiligten Player friedlich herumgrasten und an Konsumenten kauten (Fredric Dannens Buch HIT MEN wird in dieser Hinsicht sehr deutlich), aber Dauerkrise der Plattenindustrie, drohender Tonträgertod, verändertes Konsumverhalten der iGeneration, Filesharing und komprimierter Spielbetrieb in dieser Global-Liga hat an Intensität und Verbissenheit erheblich zugenommen.

Herr RossiWas hat Kendrick Lamar in der Reihe zu suchen? KD&L und noch stärker Waterhouse sind Spezialistenthemen. Ich sehe nicht, welche Aussage sie über Pop allgemein machen, genausowenig wie Adele und Jake Bugg.

Ich finde Lamar als Beispiel eines Retro-Flüchters nicht so abwegig. Kendrick Lamar möchte nicht nur wie 2Pac sein und auch so eine Musik machen – sondern zu Shakur werden. Wenn man liest (und glaubt), dass er auch in seinem persönlichen Lebensumfeld sein vor 16 Jahren gestorbenes Idol exzessiv imitiert, damit und mit seinem Album erfolgreich ist, kann man in diesem Zusammenhang durchaus eine Aussage über den Zustand von Popmusik und seiner Künstler und Rezipienten machen.

Obwohl ich selbst auch eine Delle in Richtung Sixties habe, irritiert es mich doch, wenn Zeitgenossen das Interesse an Gegenwart und Zukunft verlieren und sich im Rückwärtsgang verabschiedend in eine vergangenheitsorientierte und tapezierte, bequeme Wohlfühlzone zurückziehen. Wo ist die Neugier auf Neues geblieben?

Und ob ‘The Freewheelin’ Jake Bugg gerne Bob Dylan wäre oder dies die Rezipienten gerne möchten oder eigentlich der Plattenkonzern so will, weil der Originalheld bald in Rente muss, wird sich noch herausstellen. Lady Gaga als knackfrischer Ersatz für eine rostende Madonna hat ja schon mal geklappt. Die Frage nach der manischen Wiederholungssucht bleibt allerdings.
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