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Next big thing: verbrannte Erde.
Dubstep galt nach Drum&Bass als next big thing und war im letzten halben Jahrzehnt der dominierende Trend in den Clubs, gilt gar als letzte Genre-Innovation der Popmusik. Dafür spricht immerhin, dass es überhaupt einen eigenen, allseits anerkannten Namen gibt für die konsequent weiter bastardisierte, ursprünglich eindeutig in den Londoner Clubs und damit auch den enorm wichtigen Pirate Stations verortbare, Fortentwicklung der englischen Dubhouse-Jungle-Drum&Bass-Garage-Tradition. Deren schon immer präsente besondere Gewichtung auf die Klangkultur des Bass, auf eine explizite Körperlichkeit des Sounds, wurde mit Dubstep noch einmal eine gehörige Spiralwindung weiter gedreht. Die fast schon technokratische Experimentierfreude der Drum&Bass-Avantgarde ein Jahrzehnt früher fand sich plötzlich in einem inzwischen auch an wildesten Soundeskapaden geschulten und trotzdem immer wieder auf die klassische englische Ravekultur zurückgreifenden Umfeld wieder. In dem spielte Bass mehr denn je die Hauptrolle, angefeuert von einer Generation von Soundfricklern, die das Bollern von Tieffrequenzen auf eine neue Evolutionsstufe hoben.
Es gibt viele Parallelen der Dubstep- zur Drum&Bass-Szene der Neunziger. Auch damals galt der vergleichsweise neue Sound mit den ebenso überfüllten wie euphorischen Clubnächten als Nonplusultra der Popmusik-Entwicklung, als next big thing, in songhafteren Variationen tauglich für den ganz großen kommerziellen Durchbruch. Geklappt hat das damals allerdings nicht. Erst stadiontauglich, dann tot. Mit einigen zarten Fast-Hits mit Drum&Bass-Grundmuster hat das Genre den erforderlichen Breitwand-Aufmerksamkeits-Pegel des Mainstreams nie erreicht. Drum&Bass wird heute noch hingebungsvoll gepflegt, allerdings in einer kleinen, von größerer Außenwahrnehmung weitgehend verschonten Szene mit – immer noch – Schwerpunkt London. Bei Dubstep ist das jetzt etwas anders gelaufen. Dubstep ist tatsächlich das neue große Ding – und es hat ihm nicht gut getan.
LET’S GET RAVEY verkündete 2009 ein Remix des Dubstep-Pioniers Skream, es war die aufsehenerregende – eben Rave-geeignete – Adaption eines La Roux-Hits, die ihrerseits gerade den atemberaubend konsequent rückwärtsgewandten popmusikalischen Gipfelpunkt des 80er-Synthie-Revival-Sounds abgeliefert hatten. Die damalige Frage, ob man auf einem ganz normalen Dancefloor voller Indie-Fashionistas lieber das Original oder den Remix spielen sollte, stellt sich heute nicht mehr. IN FOR THE KILL (LET’S GET RAVEY REMIX) lässt sich problemlos als Blueprint und Wegbereiter für den derzeitigen Dubstep-Overkill deuten. Der lässt sich nicht mal negieren, wenn man mit Popmusik im engeren Sinne gar nichts am Hut hat, sondern mit – sagen wir mal – Fußball.
Zur diesjährigen EM ballerten zwei internationale Megakonzerne die Werbepausen mit Dubstep zu: Mercedes und Microsoft. Ausgerechnet aus der Windows-Werbung wurde dann auch prompt mit Alex Clare ein neuer Star geboren, der seitdem auf den einschlägigen Jugendwellen hoch und runter dudelt. Es ist – nebenbei bemerkt – auch der totale Sieg gegenüber den bis dato eher erträglichen Versuchen, Dubstep in Mainstream-Pop-Nähe zu rücken: Mit einer Katy B zum Beispiel, der man die Nähe zu den Londoner Underground-Protagonisten abnahm und die auch nur bedingt prolltauglich wirkte. Allerdings wurden die Prioritäten da schon anderweitig gesetzt: In den Staaten hatte sich nämlich der Skream-Auf-die-Omme-Appeal per Springbreak-Party-Event schon so weit durchgesetzt, dass darauf gleich die Karriere eines der derzeit bestbezahlten und berühmtesten DJs aufbauen konnte: Skrillex kultivierte den – jetzt: – Brostep zum stadiontauglichen Mainstream-Soundtrack. Das Ergebnis ist verbrannte Erde.
Explizite Bass-Orgien wird man auf absehbare Zeit nicht mehr hören können, ohne schwer genervt zu sein. Natürlich wegen der Zwangsüberdosis, der man sich kaum entziehen kann, gerade weil die Werbeindustrie ordentlich in den Trend hineingebuttert hat. Vor allem aber natürlich, weil sich Dubstep als neuer hegemonialer Proll-Sound etabliert hat, von dem man sich wohl oder übel abgrenzen muss. Nur: Womit?
Post Dubstep ist das etwas unbeholfene und alles andere als definitionssichere Beschreibungskonstrukt für alle möglichen musikalischen Ausdifferenzierungen, die Dubstep-geschulte Basslinien als zentralen Bestandteil der Musik verwenden. Nach drei Jahren James Blake oder (hier gern auch andere einsetzen) XX zeigt sich allerdings, dass auch artifiziellere und Indiepublikum-geprägte Herangehensweisen deutlichen Ermüdungserscheinungen unterliegen. Eine ganze Reihe ehemaliger Dubstep-Protagonisten der ersten Liga sind vom Bildschirm verschwunden oder lassen mit Sound-Entwürfen von sich hören, die jeden expliziten Bass-Exkurs zugunsten technoider Egalisierung unterlassen. Und ja, es gibt natürlich auch noch jene, die – wie Morgan Zarate oder Sepalcure – immer noch versuchen, Dubstep so etwas wie einen Pop-Appeal nach Underground-Regeln einzuhauchen. Auch hier unter größtmöglicher Vermeidung maximaler Bass-Explizität, versteht sich. Dubstep ist tot. Der nächste bitte.
Es ist seit jeher besser, einen Trend erstmal abzuwarten und sich nach dem zusammenbrechen mit den Trümmern zu beschäftigen. Solche Abspeckkuren haben doch bisher fast jeder Musikrichtung gutgetan, von Trance über Deathmetal bis zu Grunge. Der ganze Schrott verschwindet und die Perlen bleiben zurück. Da muss man nicht so lange suchen und man hat es sich auch nicht überhört. Und was die Kommerzialisierung angeht – das hat sich nunmal ganz natürlich ergeben wie bei fast jedem anderen Trend. Auch Drum&Bass hatte seine Pop-Variationen. Bei Dubstep ist es vielleicht deutlicher in den Mainstream gerückt, weil die Leute hungrig sind nach Innovation. Und die wird es auch weiter geben – aber eben immer schwerer verträglich für den Mainstream.
[Jörg Augsburg | aus: Let’s Get Ravey!]
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