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Sonic JuiceDas Problem an den Beispielen – und insofern auch an der Eingrenzung des vermeintlichen Retro-Phänomens – ist, dass man bei genauerem Blick auf jeden einzelnen Act gut begründen kann, dass die Schublade klemmt.
Vielleicht liegt es daran, dass viele Leute eher genaue Differenzierungen bei Folk- und Singer/Songwriter-Klängen vornehmen können als bei Rockabilly, Rhythm & Blues oder Soul. Da klingt aus der unkundigen Distanz halt alles gleich. Und wenn heute jemand sich dieses Instrumentariums bedient, ist das dann halt gleich ein Klon… Den Eindruck hatte ich jedenfalls bei Reynolds bisweilen.
Shaken not stirred.
Nun ist es so, dass Analysen immer etwas knifflig sind, wenn man sich selbst noch innerhalb des zu analysierenden Gegenstands befindet – in diesem Fall die Epoche der Popgeschichte, deren Kernzeit sich als jene zwischen Fünfziger/Sechziger bis Neunziger Jahre herauszukristallisieren scheint. Letzteres schreibt jedenfalls u.a. Diedrich Diederichsen. Möglicherweise mag also die Lade klemmen, die Richtung in der am Schübchen gerüttelt wird scheint mir aber nicht verkehrt. Für mich wird das Retro-Phänomen auch nicht allein durch Simon Reynolds Buch interessant, sondern durch Publikationen von nicht unbekannten Pop-Vor-und-Nachdenkern, Kultur-Historikern und anderen Autoren. Einige von Ihnen, nicht alle, gelangen zu sehr ähnlichen Einschätzungen und Feststellungen, die neben einer gewissen Identitätskernlosigkeit aktueller Popstars und Pop-Ikonen auch einen tiefnostalgischen Blick in den Popkultur-Rückspiegel ausmachen bzw. auszumachen glauben.
Und dass ausgerechet Tarantino 1:1-Kopien einer Vergangenheit anstrebt, wäre mir sowieso neu. […] Der Mann ist mit seinem Schaffen immerhin so prägend und eigen, dass „tarantinoesk“ es in das Vokabular der Filmkritik geschafft hat.
Was hat T. mit Gegenwart zu tun? Und ‘tarantinoesk’ scheint mir eine Erzeugungs- und Darreichungsform zu sein, die sich im Grunde aus zwei retrograden Elementen zusammensetzt: die Gesprächs-Kaskaden aus Rohmers Filmen (die Tarantino bewundert) und das B-Kino (das Tarantino bewundert) aus seiner früheren Videothekenzeit. Aus diesen nachgestellten Teilen – und unter persönlicher Prioritätensetzung – entstehen seine erfolgreichen filmischen Kleister-Puzzles und Klebebilder, die auch szenische 1:1-Replikas enthalten. Die von ihm recycelten Kino-Codes (beim Soundtrack geht er ähnlich vor) werden von seinem Publikum wiedererkannt und dieser Umstand von ihnen beklatscht. Das Vorgehen des Amerikaners bei der Filmbildherstellung entspricht dabei auf verblüffende Weise der Zusammenstellung eines Best-of-Albums oder einer Ultimate-Edition eines Popkünstlers. Von prägender Kinoerneuerung oder innovativer Filmkunst ist da neben vorhandenem Unterhaltungswert nichts zu erkennen (oder ich blinzle immer an den falschen Stellen). Ich räume aber ein, dass T. möglicherweise kein gutes und vielleicht THE ARTIST das bessere Thema-Beispiel ist.
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