Re: Retromania | ist Pop tot?

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herr-rossi
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tolomoquinkolom
Pop wie Hecken es sieht, hat sieben wesentliche Merkmale: Oberflächlichkeit, Funktionalismus, Konsumismus, Äußerlichkeit, Immanenz, Künstlichkeit und Stilverbund. Verkehrt scheint mir das nicht zu sein.

Mir schon, zumal mit seinen Erläuterungen. „Funktional ist Pop in anderer Hinsicht ausgerichtet: das Ziel ist, für Belebung zu sorgen, angenehm zu erregen, den Körper in Bewegung zu setzen, Attraktivität zu erhöhen und eine nette, heitere Stimmung oder eine coole Haltung zu bewirken.“ Wovon redet der Mann da? Wenn das die „Funktion“ von Pop wäre, müssten wir uns hier nicht darüber unterhalten, ob es eine Krise des Pop gibt und ob wir diese Krise bedauern müssten. Nein, seine Definitionen teile ich überhaupt nicht. Und Augustinus runzelt auch die Stirn!

tolomoquinkolomUnd es gibt einen weiteren Unterschied: in den Sechzigern haben sich Veröffentlichungen die Aufmerksamkeit bzw. ihren Impact nicht mit einem Clip-Overkill auf diversen medialen Plattformen teilen müssen und ‘Augenmerk’ lag da auch noch auf gehörter Musik und nicht hauptsächlich auf gesehener Clip-Ästhetik, global chicness und visuell unterstützten Verkaufsstrategien.

Wie kommst Du darauf? Auch und gerade in den 60s war die visuelle Ebene von Pop ungeheuer wichtig und definierte die „global chicness“. Und natürlich „verkaufte“ man Künstler auch damals über Bilder – TV-Shows, Kinofilme, Scopitones, Zeitschriften, Poster, Autogrammkarten, Platten-Cover/Sleeves usw. usw.

Wo machst du im Zusammenhang mit dieser Vitalität der Musikszene die Vorwärtsentwicklung von Popkultur/Popmusik aus? Würdest du das Adele-Album 21, das 2011 weltweit zum meistgekauften Album wurde, für eine Innovation halten? Worin bestünde diese? Womit ließe sich der immense Erfolg bei Käufermassen (auch jenseits von ‘normalen’ Popmusik-Konsumenten) einer derart rückwärtsbezogenen Musik begründen und eine Verbindung zu einem inhaltlichen Gegenwartsbezug knüpfen (von Songtexten ganz zu schweigen)?

Ach, über Adele mag ich keine Worte mehr verlieren. Es gab und gibt genügend Alternativen, auch erfolgreiche.

Du hast es ja an anderer Stelle selbst schon mal geschrieben: Auftritte von Popkünstlern haben längst nicht mehr ausschließlich nur einen musikalischen Charakter. Das Vermischen von Künstlern und Rezipienten scheint mir daher legitim.

Kann mich nicht erinnern, in welchem Zusammenhang ich das geschrieben haben könnte. Natürlich ist Pop wie jede Kunst ohne Rezipienten nicht denkbar, die Rezipienten haben eine aktive Rolle. Pop funktioniert nicht „top down“.

Ich sehe momentan eigentlich gar keinen Schrecken an retro – höchstens eine merkwürdige Entwicklung, die offensichtlich munter voranschreitet (Kitty, Daisy & Lewis, Waterhouse, Adele, Lamar, Bugg), aber nur wenige wirklich Interesse an der Thematik zeigen (am wenigsten Konsumenten, am meisten Kulturhistoriker und Poptheoretiker).

Was hat Kendrick Lamar in der Reihe zu suchen? KD&L und noch stärker Waterhouse sind Spezialistenthemen. Ich sehe nicht, welche Aussage sie über Pop allgemein machen, genausowenig wie Adele und Jake Bugg.

Aber jetzt mal eine Frage an Dich: Wie sieht eigentlich Deine Vorstellung von musikalischer Innovation aus? Ernstgemeint. Ich bringe Deine musikalischen Favoriten nicht gerade mit Avantgarde in Verbindung. Ist kein Vorwurf, mir ist nur nicht klar, was konkret Du eigentlich vermisst.

AlbertoWas haben denn die Blogosphäre oder Pitchfork bisher an Entwicklungen angestoßen? Ich meine jetzt nicht einzelne Künstler, sondern eine „Szene“, die sich aus der virtuellen Welt hinausentwickelt hat.

Gegenfrage: Welche Entwicklungen siehst Du in der Pop-Musik in den letzten Jahren und wie wurden diese kommuniziert, wenn nicht durch das Internet?

Die von Mikko genannten Namen sind nur zwei von inzwischen beliebig vielen. Bei den Arctic Monkeys war es vielleicht noch eine Nachricht, dass sie ein „Internet-Phänomen“ sind, aber sieben Jahre später ist es eine schlichte Selbstverständlichkeit.

„Das Internet“ macht keine Trends, sondern das Internet ist heutzutage der Kommunikationsraum, in dem sich diejenigen, die sich für aktuellen Pop interessieren, vernetzen und austauschen. Daran führt überhaupt kein Weg mehr vorbei. Du wirst keinem Künstler mehr begegnen, der ein Debüt vorlegt, jedenfalls keines, das Beachtung findet, ohne dass er zuvor schon ein Thema im „Social Web“ und in der „Blogosphäre“ gewesen wäre. Wenn doch, wäre das eine Nachricht wert!

Über Trends zu sprechen, ist heute schwieriger als früher, die Szenen und Genres verschwimmen. Von Musikjournalisten geprägte Begriffe wie „Hypnagogic Pop“ können sich nicht mehr im allgemeinen Sprachgebrauch der Pop-Hörer durchsetzen. Im Zweifelsfall ist für die Rezipienten alles irgendwie „Indie“.

Ich kann die intensive Wirkung und die breite Präsenz dieser früheren TV-Sendungen weder in der Blogosphäre, noch bei Pitchfork erkennen.

Dazu müsste man wissen, welche aktuelle Musik Du überhaupt hörst und wie Du auf diese gestoßen bist. Nenn doch mal ein paar Namen. (Pitchfork ist einflussreich, ich würde es aber nun auch nicht so hervorheben, es ist halt eines von diversen Online-Musikmagazinen.)

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