Startseite › Foren › Kulturgut › Das musikalische Philosophicum › Retromania | ist Pop tot? › Re: Retromania | ist Pop tot?
tolomoquinkolomÜber den Unterschied dieser jeweiligen Geschwindigkeiten bin ich mir nicht sicher, würde aber behaupten, dass zwischen den Sechzigern und heute ganz allgemein eine gesellschaftliche Beschleunigung stattgefunden hat (und weiter stattfindet). Es war seinerzeit wohl zumindest ein vollkommen anders strukturiertes Industrie-Management und Pop-Business. Und es gibt einen weiteren Unterschied: in den Sechzigern haben sich Veröffentlichungen die Aufmerksamkeit bzw. ihren Impact nicht mit einem Clip-Overkill auf diversen medialen Plattformen teilen müssen und ‘Augenmerk’ lag da auch noch auf gehörter Musik und nicht hauptsächlich auf gesehener Clip-Ästhetik, global chicness und visuell unterstützten Verkaufsstrategien.
Da widerspreche ich in mehrfacher Hinsicht.
Die These der gesellschaftlichen Beschleunigung etwa wird immer wieder gerne gekaut. Betracht man die Realitäten aber unter soziologischer Perspektive, hat sich eigentlich nicht sehr viel geändert. Da ist absolut nichts beschleunigt, eher im Gegenteil: Die Generationenfolge hat sich in Anbetracht der stark angestiegenen Lebenserwartung verlangsamt und mit ihr auch die Entwicklung der Sozialstrukturen.
Wenn sich etwas beschleunigt haben solllte, dann die Wahrnehmung von Vorgängen aller Art. Das ist aber eine Ableitung, eine zwangsläufige Folge der technologischen Weiterentwicklung von medialen Aufbereitungs- und Archivierungsmechanismen („Globalisierung“ und „Wissensexplosion“), die wiederum Folgen haben wird (siehe dazu auch Exkurs Internet).
In diesem Zusammenhang stehen gerade die 60er im Zeichen einer wirklich tiefgreifenden Revolution, des Massenfernsehens nämlich. Damit kam eine Bilderflut in die Welt, die eine völlig neue Qualität darstellt.
(Exkurs: Das Internet ist auf dieser Ebene nur eine weitergehende Evolution des Fernsehens, auf der Wissensebene – Archivierung – hat es möglicherweise eine andere Qualität, deren tatsächliche Auswirkung aber noch nicht wirklich zu definieren sind. Alle Aussagen darüber befinden sich etwa auf dem Level der Medientheorie von McLuhan in den 60ern – mehr Prognose als Analyse.)
Das Fernsehen markiert den maßgeblichen Umbruch im letzten Jahrhundert, der nicht nur soziologisch evident, sondern sogar neurologisch nachweisbar ist: Die Hirnströme der in den 60er Jahren in den Industriestaaten aufgewachsenen Generation weisen andere Muster auf als die der Elterngeneration – Folge der flimmernden Röhren, in die man geblickt hat.
Dazu gehört auch die mehr oder minder global schnelle Verbreitung von Moden (Kleidung, Haltung, Sprache etc), sprich: Pop. Der Augenmerk lag vielleicht sogar noch deutlich stärker auf dem Visuellen als heute, wo durch die Allgegenwärtigkeit der Bilder diese immer beliebiger werden. Wobei auch die Audiotechnologien einen Schub erhielten (Elektrifizierung mit nicht nur neuer Lautstärke, sondern auch neuartigen Tönen).
Die 60er Jahre sind in Pop, Musik und vielen anderen Dingen wegen der technologischen Revolutionen zwangsläufig ein Referenzjahrzehnt. Das wird solange gelten, wie es ähnliche umwälzende Entwicklungen gibt, die imho immer mit Technologien (welcher Art auch immer) zusammenhängen.
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The only truth is music.