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tolomoquinkolom
Dass es – wie Reynolds schreibt – einen direkten Zusammenhang von immer kürzer werdenden Produktlebenszyklen
An dieser Stelle wird es schon fragwürdig, denn wann waren die „Produktlebenszyklen“ je so kurz wie in den 60s, die doch immer die Referenz für Pop-Innovationen sind? Damals wurden Veröffentlichungen mit einer Geschwindigkeit herausgebracht, als ob es kein morgen gäbe. Weil man an „morgen“ überhaupt noch nicht dachte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass damals schon der Aussage „daran kann sich in xy Jahren doch niemand mehr erinnern“ – heutzutage eine Standardkritik der Konservativen an allem was neu ist und mehr als dreimal in der Öffentlichkeit Erwähnung findet (sogenannte Hypes) – irgendeine Relevanz gehabt hätte. Es gehört ja auch zu den Legenden, dass Künstler der 60s „langlebiger“ gewesen wären. Auf die große Mehrzahl trifft das überhaupt nicht zu, sie sind nach ein paar Jahren im Rampenlicht wieder verschwunden und fristen besten- oder schlechtestenfalls ein Schattendasein als tingelnder „Oldie“-Act. Vielleicht wurden sie irgendwann mal „wiederentdeckt“, aber auch das war für die meisten nur ein kurzes Intermezzo.
Der Rückzug der Pop-Industrie in ihre Archive und deren entsprechende Verwertung (Revivals, Bestseller-Wiederveröffentlichungen, Box-Sets, Sammler-, Deluxe-, Super-Deluxe-Editionen, Werkausgaben, Tribut-, Essential-, Best-of-Reihen usw.)
Die klassische Tonträgerindustrie muss aus bekannten Gründen inzwischen kleine Brötchen backen. Daher werden auch Minderheiteninteressen wieder bedient, siehe den Vinylboom. Oder eben diese Kundengruppe, das sich jedes Jahr gerne eine Neuauflage des Beatles-Katalogs ins Regal stellen möchte. In der Regel zahlungskräftige Kunden jenseits der 25/30, die ohnehin an aktueller Musik kaum noch interessiert sind. Die aktuelle Musikszene tangiert das nicht weiter.
In der ganzen „Retromania“-Debatte werden ja überhaupt verschiedene Dinge vermengt: Das konservative Kaufverhalten eines Teils der Rezipienten, wie eben beschrieben, hat meiner Ansicht nach keine Aussage über die Vitalität der aktuellen Musikszene. Sie ist da, sie ist vital, sie klingt anders als vor 10, 20 usw. Jahren. Diese Jammerarien über den angeblichen kreativen Stillstand kann ich überhaupt nicht teilen.
Retro wären demnach wohl z.B. Adele, The xx, The White Stripes oder Kitty, Daisy & Lewis
The XX würde ich nicht dazu zählen. Wo wurden die jemals als „retro“ empfunden? Ansonsten würde ich unterscheiden:
– Künstler, die bewusst höchste Sorgfalt darauf verwenden, dass ihre Musik genauso klingt, wie bestimmte Stilrichtungen vergangener Epochen, die sie besonders schätzen, also z.B. Kitty, Daisy & Lewis oder Nick Waterhouse. Sowas hat es immer gegeben und wird es immer geben, das ist aber eine Nische.
– The White Stripes hatten dagegen musikalisch einen stärkeren Zitat-Charakter und vor allem ein visuelles Konzept, das „alte“ Musik in einen anderen, neuen Zusammenhang rückte. Damit konnte man es dann auch bis zu den MTV-Awards schaffen. In gewisser Weise waren The White Stripes damit ein Pop-Art-Phänomen.
– Künstler, die dem Publikum als „authentisch“ verkauft werden, die einer erzkonservativen „bring back *real* music“-Ideologie Vorschub leisten. Ich könnte außer Adeles Namen auch den eines „talentierten jungen Songwriters“ aus dem UK ins Spiel bringen … (Disclaimer: Natürlich kann man auch Adele und Jake Bugg hören und schätzen, wenn man diese Ideologie nicht teilt.)
tolomoquinkolom
iPod scheint zum Symbol eines rasenden Stillstands zu werden. Viel Bewegung bzw. Aktionismus, aber kein (echter) Fortschritt, weil das ganze Archiv zur potentiellen Playlist wird, um Besonderheiten bereinigt und stimmungsoptimiert. In Zeiten wachsender globaler Unsicherheiten beschwört man offensichtlich viel lieber die Vergangenheit herauf, als sich mit der Gegenwart oder gar der Zukunft zu befassen.
Klingt toll, aber hier geht es doch wieder um Rezipienten und nicht um die Künstler. Du vermischst das ständig.
tolomoquinkolomKaiser hält die Unterscheidung in E- und U-Musik selbst für Blödsinn. Ich wiederum halte die Gegenüberstellung des Fragestellers von Britney Spears (bzw. eines Liedchens von ihr) und Wagners Tristan und Isolde für Blödsinn. Im Übrigen ging es offensichtlich um einen Qualitätsvergleich. Das führt zu nichts.
Alles richtig, darum ging es mir aber nicht bei dem Kaiser-Zitat, sondern auschließlich um seine Ausführungen dazu, dass klassische bzw. E-Musik eine differenzierte Kunstsprache ist, die nur der kreativ verwenden und weiterentwickeln kann, der ihre Geschichte kennt. Ich meine, wenn man diese Erkenntnis auf Pop-Musik bezieht, dann verliert diese ganze „Retro“-Thematik ihren vermeintlichen Schrecken, zumindest was die aktiven Künstler angeht. Heutzutage bietet so ziemlich jede neue Band oder neue Künstler ellenlange und bunte Listen der eigenen Einflüsse, die zeigen, dass sie nicht „unbeleckt“ ans Werk gehen, sondern in dem Wissen, dass andere vor ihnen auch schon Musik gemacht haben und sie diese Musik geprägt hat. Das wussten die viel gerühmten Innovatoren der 60s aber schon genauso gut. Den Künstler, der in einer Pinguinkolonie in der Antarktis aufwächst, dann in die menschliche Zivilisation überführt wird, sich ein Instrument kauft und aus völlig unbeeinflusster Intuition eine Musik macht, wie sie noch nie jemand gehört hat, den gibt es doch nicht.
Alberto
Im Internet schaue ich nur, was ich schon kenne. Jeder schaut etwas anderes. Das Internet setzt keine Trends, sondern gibt nur außerhalb des Internets gesetzte Trends wieder.
Was Du im Internet machst, ist Deine Sache, aber die führt Dich hier zu einer krassen Fehleinschätzung. Musikalische Trends verbreiten sich heutzutage immer erst im Internet. Die klassischen Medien (Print, TV, Radio) kommen erst sekundär ins Spiel.
ReinoUnd für Deutschland bedeutete der Einzug des Format-Radios, daß das Kaufverhalten der Musikhörer in den USA und GB bestimmte, was bei uns gespielt wurde
Naja, das ist auch so eine Legende, aber müssen wir hier nicht diskutieren.
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