Re: Retromania | ist Pop tot?

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demon

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Beiträge: 66,870

Ich möchte nochmal an das Zitat von nail85 erinnern:

Die Popmusik von heute muss sich eben immer noch an den Verhältnissen
der 60er messen lassen, obwohl die Popmusik selbst dazu beigetragen hat,
diese Verhältnisse zu überwinden.

Fakt ist doch, dass sich die kulturellen und die gesellschaftlichen
Verhältnisse heute nicht mehr in so einem rasanten Tempo ändern wie
das noch in den 60ern und 70ern der Fall war. Dann ist es doch klar,
dass auch die Kunst, und damit auch die Popmusik das wiederspiegelt.
Die Folge davon ist, dass einem heute 20-Jährigen die Musik von vor
30 Jahren längst nicht so fremd ist, wie mir in meiner Jugend
entsprechend alte Musik fremd war. Und so ist es gar kein Wunder,
dass heute nicht nur häufiger „altes Zeuchs“ gehört wird, sondern dass
auch die Künstler mehr auf ältere Ideen und Muster zurückgreifen, weil
die bei den Hörern eben immer noch ankommen können und nicht als
unzeitgemäß oder „überwunden“ abgetan werden.

(Aus manch einer guten musikalische Idee der 60er oder 70er wurde
seinerzeit vielleicht viel zuwenig gemacht, weil sie bald schon wieder
durch eine neue Modewelle weggespült wurde. Also, warum soll ein
Künstler das nicht nochmal aufgreifen, wenn’s heute akzeptiert wird?
Man kann’s also auch positiv sehen!)

Und dazu kommt noch – wie Tolo angemerkt hat – dass „alte“ Musik
heute problemlos und in guter Qualität zugreifbar ist; das verstärkt die
Entwicklung sicherlich noch – aber im Gegensatz zu Tolo will ich nicht
behaupten, dass diese technische Möglichkeiten die Ursache dafür wäre.

Für mich wirft diese Diskussion die Frage auf, wie die aktuelle
Verlangsamung des gesellschaftlichen und künstlerischen Fortschritts
insgesamt zu bewerten ist. Das geht also weit über die Musik hinaus,
auch wenn Pop-Musik als dezidierte „Gegenwartskunst“ von dieser
Verlangsamung vielleicht besonders betroffen ist.

Am Rande bemerkt:

tolomoquinkolom
Retro, merkwürdig alt klingend, aber doch sehr zeitgenössisch, setzt sich
wohl mit ganz aktuellen Kulturhervorbringungen auseinander, die möglichst
1:1-Kopien (und ohne Beimengungen) aus einer gewünschten Vergangenheit
herzustellen versuchen (die wiederum selbst nie retro war).

Vergangenes 1:1 wiederholen, das gibt es natürlich, als Nische. In der
E-Musik sogar eine ziemlich große Nische: „historische Aufführungspraxis“.
Aber i.d.R. verwenden wir den Begriff „retro“ doch auch dann, wenn nur
einzelne Bausteine aus der Vergangenheit wiederverwendet werden, ohne
die Absicht, die Vergangenheit komplett zu imitieren.

--

Software ist die ultimative Bürokratie.