Re: Retromania | ist Pop tot?

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tolomoquinkolom

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Beiträge: 8,651

Wolfgang Doebeling20. Gibt es jemanden, der dem Wort „retro“ eine definitorische oder wertende Bedeutung beimisst und noch alle Tassen im Schrank hat?

Ist das entscheidend? Es wäre viel interessanter, wenn es nicht vordergründig um Begrifflichkeiten oder Wertigkeiten ginge, sondern um Inhalte aufgestellter Thesen und Meinungen. Du hast im Forum an anderer Stelle selbst und zurecht angemerkt, dass es sich häufig bei derlei Wortkrücken lediglich um sehr dürftige Hilfsmittel handelt und sie keine allzu große Beachtung verdienten.

Ob man – wie Jürgen Danyel, Thomas Hecken oder Simon Reynolds – aus Beobachtungen der Popkultur im Allgemeinen und der Popmusik im Besonderen die finale Popmusik-Abenddämmerung oder reißerisch eine Manie herbeischreiben muss, kann man durchaus hinterfragen oder anzweifeln. Den Umstand, den Reynolds mit Retromanie zu umschreiben versucht und die auch von anderen Autoren gemachten Feststellungen, die ja im Grunde eine im Gange befindliche Fluchtbewegung unserer Gegenwartskultur im Ganzen betreffen, finde ich dennoch sehr nachdenkenswert.

Dass es – wie Reynolds schreibt – einen direkten Zusammenhang von immer kürzer werdenden Produktlebenszyklen mit von Konsumentenseite wie Industrie akzeptierter und deutlich zunehmender Bedeutung von Retro, Vintage und Nostalgie im allgemeinen Kulturbetrieb gibt, scheint mir verständlich und richtig. Der Rückzug der Pop-Industrie in ihre Archive und deren entsprechende Verwertung (Revivals, Bestseller-Wiederveröffentlichungen, Box-Sets, Sammler-, Deluxe-, Super-Deluxe-Editionen, Werkausgaben, Tribut-, Essential-, Best-of-Reihen usw.) als Reaktion auf digitalisierte Archivierung aller musikalischer Hervorbringungen (der Zugang zu riesigen Kulturdatenbanken hat nicht zu einer ästhetischen Progression geführt, sondern zu einem weitgehenden Stillstand musikalischer Originalität in einer grenzenlos gewordenen Gegenwart), hat zwar durch die Deutlichmachung von Zusammenhängen nicht mehr Sinn bekommen, aber immerhin eine nachvollziehbare Grundlage erhalten.

Was das so vehement verschmähte Wörtchen betrifft, möchte ich einen Einwand versuchen, denn auch über das Wort retro ließe sich nachdenken. Eine Wertung scheint es mir allerdings nicht zu sein, eine Definition oder besser ein Einkreisungsversuch schon eher. Retro, merkwürdig alt klingend, aber doch sehr zeitgenössisch, setzt sich wohl mit ganz aktuellen Kulturhervorbringungen auseinander, die möglichst 1:1-Kopien (und ohne Beimengungen) aus einer gewünschten Vergangenheit herzustellen versuchen (die wiederum selbst nie retro war). Retro wären demnach wohl z.B. Adele, The xx, The White Stripes oder Kitty, Daisy & Lewis ebenso wie der kürzlich Oscar-gekrönte Stummfilm THE ARTIST von Michel Hazanavicius bzw. die Filme von Quentin Tarantino, oder im Bereich der Bildenden Kunst die Werke von Ralf Metzenmacher – von der Mode ganz zu schweigen.

Wie siehst du das?
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