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„Woher kommt das Wort „Problem“? Ich glaube, dass in der Vorkriegsliteratur – ich meine in der Literatur aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg – in Deutschland sowie in anderen Ländern, ganz bestimmt auch in Amerika, das Wort „Problem“ entweder nie oder fast nie aufgetaucht ist, wie wir es heute benutzen.
„Ich habe ein Problem mit meinem Magen.“ „Ich habe ein Problem mit meiner Ehe.“ Ich kann mir kaum vorstellen, dass Thomas Mann in der deutschen Sprache oder Hemingway oder Faulkner je so etwas in den Mund seiner Charaktere gelegt hätte. Nein, nein: „Mein Magen tut mir weh.“ Oder: „Wir leiden beide unter unserer kaputten Ehe.“ Oder: „Du liebst mich nicht mehr.“ Nicht: „Ich habe ein Problem mit meiner Ehe.“ Dieses Eindringen in unsere Sprache – ganz bestimmt auch ins Englische und in viele andere Sprachen – hat mit dem Siegeszug des Computers zu tun.
Der Computer wurde eingeführt als „General Problem Solver“, als „Lösung für alles“. Die ganze Sache, dass man etwas einem Computer übergeben kann, hat eigentlich vor 40 Jahren als Witz angefangen: „Ach, frag doch mal deinen Computer.“ Das war ein Witz. Aber langsam wurde es ernst genommen.
Wir haben ein Problem und ein Problem verlangt nach einer Lösung. Problem und Lösung – diese beiden Begriffe sind untrennbar miteinander verbunden. Das bedeutet: Wenn man ein Problem hat, gibt es ein gewisses Verfahren – es könnte ein mathematisches sein, Algebra -, das man auf dieses Problem anwenden kann. Was dabei herauskommt, ist dann die Lösung. Damit ist dieses Problem erledigt.
(…)
Auf der breitesten Ebene sowie auf der Ebene des Einzelnen hat uns dieser Begriff „Problem“ in einem gewissen Sinne korrumpiert.“
Aus: Joseph Weizenbaum, Inseln der Vernunft im Cyberstrom?
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