Re: Suicide – Alan Vega + Martin Rev

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friedrich

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In einer vor kurzem erschienenen Ausgabe des MUSIKEXPRESS darf James Murphy alias LCD Soundsystem das zweite Album von Suicide als seine geheime persönliche Lieblingsplatte vorstellen. Schade nur, dass der ME dazu das Cover des ersten Albums abbildet. Etwas ungeschickt! Zum Glück kann man sich in diesem Thread eines Besseren belehren lassen. ;-)

Nach SATURN STRIP und dem wohl sowohl künstlerischen als auch kommerziellen Flop von JUST ONE MILLION DREAMS wird das Werk von Alan Vega sehr unbeständig: ständig wechselnde Partner und Labels, Platten von offenbar zweifelhafter Qualität und zwischen 1990 und 1995 überhaupt keine Aufnahmen unter eigenem Namen mehr. 1988 hatte es immerhin eine Re-Union mit Martin Rev gegeben. So richtig toll scheint die aber auch nicht eingeschlagen zu haben. Ich habe da mal reingehört, fühlte mich aber nicht motiviert, eins der Comeback-Alben käuflich zu erwerben. Das erste (1977) und das zweite Album (1980) von Suicide bleiben für mich Klassiker, die einerseits sehr in ihrer Entstehungszeit verwurzelt sind und gleichzeitig eine überzeitliche Qualität besitzen, die nicht zu einem anderen Zeitpunkt wiederholt werden kann. Muss aber auch nicht sein.

Erst letztes Jahr fiel mir dann ein Album in die Hände, das mich wieder für Alan Vega begeistern konnte.

Alan Vega – Alex Chilton – Ben Vaughn – CUBIST BLUES (1996)

Alan Vega: vocals, Alex Chilton: instruments, Ben Vaughn: instruments

Alan Vega scheint ein Künstler zu sein, der auf die Mitarbeit der richtigen Partner angewiesen ist, aber nicht immer ein glückliches Händchen dafür hat. Mit Martin Rev hat er sich kongenial ergänzt und Ric Ocasek hat als Produzent auch das Beste aus ihm herausgeholt. Dieses einmalige Treffen von Alan Vega, Alex Chilton und Ben Vaughn auf CUBIST BLUES darf man in dieser Hinsicht als einen Glücksfall betrachten! Alex Chilton: ehemaliger Sänger der Box Tops, die mit THE LETTER in den 60ern einen Hit landeten, und in den 70ern Mitglied von Big Star, die jedoch mehr Kultstatus als kommerziellen Erfolg genossen, danach eine nicht zuletzt durch reichlich Alkoholkonsum beinträchtigte und entsprechend chaotische Solokarriere. Ben Vaughn: Ein unbelehrbarer Nostalgiker, der bis zum Hals in Americana der 50er und 60er Jahre steckt und dessen eigene Alben so klingen als würden Gene Vincent, Link Ray und Lee Hazlewood sich im Studio die Klinke in die Hand geben. Auf seinem – sehr empfehlenswerten – ausschließlich Covers enthaltenden Album MONO USA spielt er u.a. Alan Vegas MAGDALENA.

Hier haben sich also drei Musiker gefunden, die sich mit Glanz und Elend des Rock’n’Roll bestens auskennen. An nur zwei Tagen hat das Trio in einem New Yorker Studio 12 Stücke aufgenommen, die klingen als wäre R’n’R so richtig unter die Räder gekommen, würde sich aber wieder aufrappeln und an den eigenen Haaren aus dem Dreck ziehen. Ein paar Narben und die eine oder andere Zahnlücke bleiben zwar, aber das hält ihn nicht zurück es nochmal zu versuchen. Vega/Chilton/Vaughn spielen auf CUBIST BLUES einen über weite Strecken improvisierten, bis auf die Knochen reduzierten R’n’R, der meist nur aus einem gnadenlos durchgehaltenen drumbeat, ein paar darübergelegten Gitarrenriffs oder Keyboardakkorden und Alan Vegas trademark Murmeln, Heulen und Fauchen besteht. Das klingt ebenso verschlissen wie trotzig. Man fühlt sich nicht nur an Elvis und Lou Reed/VU erinnert, bei FAT CITY meint man auch L.A. WOMAN vor dem geistigen Ohr mitzuhören und wenn man sich etwas weiter herauslehnt kommt sogar Neil Youngs TONIGHT’S THE NIGHT ins Gedächtnis, wenngleich CUBIST BLUES erheblich dichter gestrickt ist.

Eine tolle Platte, die die alten Mythen des R’n’R von Jugend, Spaß, Sex und Drogen erneut auftischt, aber sich nicht scheut, den Verschleiß, den diese Glücksversprechen über die Jahrzehnte ausgesetzt waren, offen zu zeigen. R’n’R Revisited, sozusagen.

CUBIST BLUES ist später in einer erweiterten Version mit einem zusätzlichen Live-Set als CUBIST BLUES REDUX wiederveröffentlicht worden. Trotz des scheußlichen Covers, dass aussieht wie der letzte Ramsch, sehr zu empfehlen. Den Titel CUBIST BLUES finde ich eigentlich auch etwas doof, irgendwie irreführend, zumal die Musik ja nun eigentlich nichts mit Kubismus zu tun hat. Dabei gibt es auf der Platte doch mit FAT CITY einen Song, der sich so schön als Titelstück geeignet hätte …

http://www.youtube.com/watch?v=WYhPoLONqZg

Das ist alles von Alan Vega, das ich so gut kenne, dass ich darüber schreiben und urteilen könnte. Es gibt noch einiges an anderem Zeug in verschiedenen Besetzungen auf verschiedenen Labels. Zu viel, zu unübersichtlich und – soweit ich es erkennen kann – von zu unbeständiger Qualität, als dass ich mich aufraffen könnte, mich damit zu beschäftigen. Interessant könnte vielleicht noch die Zusammenarbeit Alan Vegas mit den beiden Finnen Mika Vainio und Ilpo Väisänen (= das Electronica-Duo Pan Sonic) sein. Aber vielleicht kann sich jemand anderes motivieren darüber etwas zu schreiben.

Was bleibt?

Zwei klassische Alben von Suicide, die meines Erachtens immer noch nicht die Anerkennung bekommen, die sie verdient haben. Ein durchwachsenes Solo-Oeuvre von Alan Vega, das mit einigen Stücken seiner ersten beiden Alben und SATURN STRIP und CUBIST BLUES aber auch ein paar Höhepunkte hat. Die Solo-Platten von Martin Rev habe ich hier gar nicht betrachtet. Ich kenne sie schlicht überhaupt nicht.

Ein kleines Gedankenspiel: Wenn Lou Reed und Iggy Pop nicht das Glück gehabt hätten, dass David Bowie sie aus der Gosse gezogen und einige ihrer frühen Alben produziert hätte, was wäre aus denen geworden? Wahrscheinlich wären sie ein für alle mal armselig versumpft und kaum jemand hätte sich später noch an sie erinnert. 1977, als Suicide ihr Debut aufnahmen, war Bowie aber nicht in New York sondern in Berlin und 1980, als sie ihr zweites Album einspielten, schon wieder in London. Anfang 1980 verpassten Bowie und Suicide sich in den New Yorker Power Station Studios allerdings nur knapp bei den Aufnahmen des zweiten Suicide Albums bzw. Bowies SCARY MONSTERS. Vielleicht war Bowie musikalisch damals aber auch schon wieder woanders. Aber 1977 und die darauffolgenden Jahre hatte er sich für Elektro-Pop begeistert (Bowie 1978 über The Human League „I have seen the future of pop music.“) Und auch wenn Bruce Springsteen erklärter Suicide-Fan ist, hätte er, der sich musikalisch auf einem ganz anderen Gebiet bewegte, Suicide wohl kaum helfend unter die Arme greifen können. Ich glaube er hat sogar mal gesagt, dass er gerne solche Musik wie Suicide machen würde, sein Fans ihm das aber nie verzeihen würden. Ric Ocasek hat als Produzent des zweiten Albums und Alan Vegas SATURN STRIP zwar sehr gute Arbeit geleistet, aber sein Name hat sicher nicht die gleiche Zugkraft wie der von David Bowie. Außerdem ist die Schnittmenge zwischen den Fans von The Cars mit ihrem doch eher gefälligen Pop einerseits und denen von Suicide mit deren desillisionierten Variante von R’n’R wohl eher klein. Geld verdienen konnte man damals mit Suicide wohl nicht und so verschwanden sie in der Obskurität. Ein paar Jahre später hatten andere mit dem, was man dann Elektro Pop oder Synth Pop nannte, Erfolg in den Hitparaden. Aber diese Geschichte hatten wir schon.

Schade aber toll!

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)