Re: Suicide – Alan Vega + Martin Rev

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friedrich

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Im vorherigen post hatte ich Alan Vegas 1981er Album COLLISION DRIVE besprochen. Für mich leider nicht unbedingt ein Höhepunkt seines Schaffens. Aber damit will ich mich gar nicht erst lange aufhalten und springe gleich weiter.

Während im Forum an anderer Stelle eine angeregte Diskussion über das Für-und-Wider von Retro-Trends in der Popmusik geführt wird, erzähle ich hier mal etwas über Alan Vegas retro-futuristischen Rockabilly aus den 80ern.

Alan Vega – SATURN DRIVE (1983)

Alan Vega – vocals
Ric Ocasek – guitar, keyboards, producer
Larry Chaplan – Bass
Sesu Coleman, Stephen George – drums
Greg Hawkes – synthesizer, saxophone

“Billig? Will ich!” fällt mir als erstes ein, wenn ich das Cover von SATURN STRIP sehe. Der zweite Gedanke ist dann aber auch schon gleich wieder, dass jemand wie Alan Vega vermutlich viel Wert darauf gelegt hat, dass seine Platte in ein so trashig wirkendes Cover gesteckt wurde. Dabei ist SATURN STRIP sein Einstand bei einem Major-Label (Elektra) und damit vermutlich mit einem deutlich höherem Budget ausgestattet, als alles, was er zuvor gemacht hatte. Elektra hatte wohl vom Erfolg seiner Single JUKEBOX BABE in Europa Wind bekommen und witterte kommerzielles Potential. Als Produzent ist Ric Ocasek am Werk, der bereits Suicide zweites Album produziert hatte und mit seiner eigenen Band The Cars in den USA Erfolg in den Charts hatte. Optimale Bedingungen eigentlich.

Ric Ocasek schneidert Alan Vega auf SATURN DRIVE einen kalten synthetischen Sound mit roboterhaften Drums, repetetiv tuckernden und wabernden Synthesizern, und hier und da einer leicht rachitisch klingenden Orgel oder einer Gitarre, die beide immer irgendwie so klingen als gäbe es davon 3 Stück zum Preis von einer. Alan Vega ist Alan Vega, also eine nicht mehr ganz so frische Version des jugendlichen Rockers, und passt damit perfekt in dieses Setting. Das klingt wie retro-futuristischer Rockabilly vom Rande der Galaxis, dessen Verfallsdatum bereits abgelaufen wäre, hätte Ric Ocasek ihn nicht schockgefrostet und damit unbegrenzt haltbar gemacht. SATURN STRIP pendelt mal mehr in Richtung monoton pluckernder Synth-Pop (SATURN DRIVE), mal mehr in Richtung R’n’R (VIDEO BABE ) und auf WIPEOUT BEAT gibt es neben billigen Synthies ein ebenso kürzel- wie klischeehaftes Gitarrenriff, das auch so manchem Schweinerockstück gut stehen würde. EVERY 1’s A WINNER ist abschließend eine nicht wieder zu erkennende Cover Version von Hot Chocolate. Die Platte klingt ein wenig so, als würde darauf schon 1983 nicht nur das, was von den 50ern übrig geblieben ist, in die 80er Jahre teleportiert, sondern auch gleich die 80er Jahre zur Vergangenheit erklärt und aus der verweggenommenen Rückschau lustvoll und hemmungslos recyclet. Scheiße aber toll! Im Gegensatz zu Alan Vegas Solodebut hält SATURN STRIP auch durchgehend ein sehr hohes Niveau, wenngleich es keinen zwingenden Single Hit wie JUKEBOX BABE gibt. Aber das wiederum ist Klagen auf hohem Niveau.

Die Texte? Keine Ahnung! Es gibt kein Textblatt, im Netz ist nichts zu finden und das Genuschel, Genöhle und verbale Zucken Alan Vegas ist auf der Platte mit Ausnahme von eine paar Floskeln – oder sagen wir lieber verbalen Images – kaum zu verstehen. Klingt aber toll! ;-)

Das Rezept geht also künstlerisch auf, kommerziell hingegen nicht, denn SATURN STRIP wird nicht der erhoffte Verkaufsschlager. Bei der Aufnahme des nachfolgenden Albums JUST ONE MILLION DREAMS geraten Alan Vega und Elektra dann so in Streit über die musikalische Richtung, dass das Label sogar versucht ihn von seinen eigenen Aufnahme-Sessions auszuschließen. Ich kenne nur ein paar Schnipsel von MILLION DREAMS, aber die lassen schon erahnen, dass das ein hilfloser und gescheiterter Versuch ist, Alan Vega auf Mainstream zu bügeln. Die Zusammenarbeit mit Elektra hat danach ein Ende und Alan Vega gibt alle Ambitionen, sich im Mainstream zu etablieren, auf. Seine Diskografie wird nach SATURN STRIP nicht nur etwas unübersichtlich, sondern – wenn man einschlägigen Reviews trauen darf – qualitativ sehr unbeständig. Ich kenne aber keins seiner Alben der Jahre unmittelbar nach 1983. Im Jahr 1988 kommt es dann zu einer Re-Union mit Martin Rev, deren Ergebnisse ich ebensowenig kenne. Erst in diesem Jahr ist mir dann eine Platte in die Hände gefallen, die er 1996 mit Alex Chilton und Ben Vaughn aufgenommen hat. Aber dazu später.

Auch SATURN STRIP ist nicht mehr auf Tonträger erhältlich. Umso mehr bin ich stolz, diese Platte 1983 als Vinyl erworben zu haben.

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)