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“I never heard anything avant-garde. To me it was just New York City Blues.” (Alan Vega)
Man könnte sich folgendes mal kurz vor Augen führen:
Alan Vega und Martin Rev sind Ende der 1930er bzw. Anfang der -40er geboren. Zum Vergleich: Elvis ist Jahrgang 1935, ebenso La Monte Young, Lou Reed 1942, Patti Smith 1946, Iggy Pop 1947. Musiker, mit denen Suicide später gemeinsam auftraten wie z.B. The New York Dolls oder The Ramones und der größte Teil der Szene, die ab Mitte der 70er im Umfeld des CBGBs bekannt wurde, sind Anfang der 50er geboren. Was das reine Lebensalter betrifft, gibt es da also einen Unterschied von mehr als 10 Jahren – in popmusikalischen Maßstäben gemessen kann man da eigentlich von einer anderen Generation sprechen.
Alan Vega und Matin Rev haben den Abwurf der ersten Atombombe, den Sieg der USA im 2. Weltkrieg und den Beginn des Kalten Krieges miterlebt. Den enormen wirtschaftlichen Aufschwung der USA in den 50er und 60er Jahren und die Entstehung einer Jugendkultur mit Elvis als Gallionsfigur. McCarthy, JFK, Martin Luther King. Sputnik-Schock, Kubakrise und die erste Mondlandung. Andy Warhols Factory und Velvet Underground. Free Jazz und James Browns Say It loud, I’m black and I’m proud. Woodstook und den Drogentod von Jimi Hendrix, Janis Joplin und Jim Morrison. Black Power, Women’s Lib und Gay Rights. Watergate und den Rücktritt von Richard Nixon. Den verlorenen Vietnamkrieg und den damit verbundenen Verlust des Glaubens an die militärische und moralische Überlegenheit der USA. Ölkrise und wirtschaftlichen Abschwung.
Amerikanische Großstädte, allen voran New York City, geraten in den 70er Jahren in einen Strudel aus Arbeitslosigkeit, Schulden, Kriminalität und Drogen. Ganze Stadtviertel werden zu no-go areas und selbst den Central Park betritt man nach Einbruch der Dunkelheit besser nicht mehr. New York hat für damalige Verhältnisse astronomische $ 1,5 Milliarden Schulden und steht am Rande des Bankrotts. Die Stadt verliert in den 70ern etwa eine Million Einwohner.
Die Rolling Stones singen auf Doo Doo Doo Heartbreaker im Jahr 1973: “The police in New York City chased a boy right through the park / In a case of mistaken identity / They put a bullet through his heart” und “A ten year old girl on a street corner / Sticks a needle in her arm / She died in the dirt of an alleyway / Her mother said, She had no chance, no chance”
Midnight Cowboy, French Connection oder Taxi Driver sind Filme, die ein unheimliches Bild von New York malen. Gleichzeitig rollt die hedonistische und eskapistische Disco Welle über das Land. Im Februar 1976 veröffentlichen The Ramones ihr Debut-Album.
Am 13. Juli 1977 gehen in New York für gut 24 Stunden die Lichter aus: Durch einen Blitzeinschlag in einem Umspannwerk und der anschließenden Kettenreaktion des überlasteten Stromnetzes fällt in fast der gesamten Stadt der Strom aus. Während des Blackouts werden 1616 Läden geplündert und zerstört, 1037 mal wird Feueralarm ausgelöst, 550 Polizisten werden verletzt und 4500 Plünderer verhaftet. In der Bronx werden bei einem Autohändler 50 Neuwagen gestohlen. In Brooklyn werden 35 Häuserblocks Opfer der Flammen. Der Gesamtschaden beläuft sich auf über $ 300 Millionen Dollar.
Am 16. August 1977 stirbt Elvis Presley mit einem Cocktail verschreibungspflichtiger Medikamente im Bauch.
Vor diesem Hintergrund nehmen Alan Vega und Martin Rev im November 1977 ihr erstes Album unter dem Namen Suicide auf.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)