Re: Jürgen Teipel – Verschwende Deine Jugend

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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MikkoHamburg kann ich nicht beurteilen. In Berlin gab es durchaus Auftrittsmöglichkeiten, aber zum Glück eben nicht nur eine. Die wichtigsten waren wohl SO36, Kant Kino und Music Hall.

Der Unterschied ist wohl gewesen, das in D-Dorf fast alles an diesem einen Ort im Ratinger Hof stattfand und kulminierte. (Edit: günstiger Weise mitten an der längsten Theke der Welt, der D-Dorfer Altstadt gelegen) Es gab fast so etwas wie eine Schirmherrschaft von Carmen Knoebel für die damals aufkeimende Punk/New Wave-Szene. Sie finanzierte sogar einige Plattenaufnahmen. Ihr Ehemann Imi Knoebel hatte die Räumlichkeiten des Hofs 1976 komplett umgestalten lassen, weiße Wände, Neonlicht und sonst nicht viel. Damit hat er schon so eine New Wave-Ästhetik vorweggenommen. Die Existenz des Ratinger Hofs war außerdem finanziell gesichert, da Imi Knoebel damals schon ein erfolgreicher Künstler war.

Der Laden machte wohl auch schon nachmittags auf und so wurde er für viele zur zweiten Heimat, sowohl für Punks als auch für die Künstler der nahe gelegenen Kunstakademie, wohl sowas wie eine Mischung aus Jugendzentrum, Kneipe und Künstlertreffpunkt. Vermutlich hatte der Ratinger Hof in D-Dorf so einen ähnlichen Status wie das CBGBs in New York. Auch wenn die beiden Städte sonst nicht so viel gemein haben. ;-)

Das SO 36 hatte meines Wissens eine sehr bewegte und wechselhafte Geschichte mit häufigen Besitzer/Pächterwechsel und verschiedenen Szenen, die sich den Laden gegenseitig streitig machen wollten. Ich glaube, da gab es nicht so eine Konstanz wie beim Hof.

Ich war sogar irgendwann Mitte der 80er mal im Ratinger Hof, aber da war der Zauber schon längst vorbei. Das SO 36 gibt’s ja immer noch und der Punkrock wird dort immer noch gepflegt. Aber die Zeiten sind inzwischen doch andere.

In Hamburg wüsste ich jetzt keinen Laden, der diese Bedeutung gehabt hätte. Auf St. Pauli gab’s wohl was, in VDJ ist – glaube ich – vom Krawall 2000 die Rede. Das hieß später Totenschiff. Ich kann mich sehr vage daran erinnern, aber das war dann auch schon später. Und das war wirklich schon seeehr subkulturell …

WenzelDie Seite von Franz Bielmeier ist Dir bekannt ?
http://www.rondo-ton.de/category/text/

Danke. Interessant.

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)