Re: Pop Crimes: Jan Lustiger denkt laut über Platten nach.

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jan-lustiger

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Herr RossiWas den ersten Teil angeht: So uneigenständig ist das nicht, im Gegenteil. Über diesen Track und seinen damaligen impact zu schreiben und dabei (sicher bewusst) auf das übliche Johnpaulgeorgeringo-, Cool Britannia-, Battle Of The Bands- und „Retro“-Dropping zu verzichten, ist beachtlich – denn es gibt über „Wonderwall“ ja offenkundig weit mehr zu sagen (und sicher auch über die anderen großen Oasis-Singles jener Jahre). Über Chan Marshalls Version hätte ich mir ehrlich gesagt keine näheren Gedanken gemacht, aber als Gegenprobe erzählt es auch eine Menge über das, was die Oasis-Aufnahme ausmacht.

Alles richtig. Mein Punkt war, dass es besonders schwierig ist, eine Diskurswende bei einem derart populären und damit oft durchgekauten Song zu erwirken und dass mein Text eine solche höchstwahrscheinlich auch nicht anstoßen wird.

nail75Überzeugt mich nicht so ganz. „Cause you’re my wonderwall“ ist kein Eingeständnis von Abhängigkeit, sondern der letzte Versuch jemand rumzukriegen, der eigentlich schon woanders ist. In die gleiche Richtung geht die „I don’t believe“-Zeile. Ich gebe zu, dass man das auch als Abhängigkeit interpretieren kann, ich würde aber zu Begierde neigen, vor allem da Wonderwall in Attitüde und Vortrag wenig von Abhängigkeit oder Leid erkennen lässt. Man kann natürlich sagen: das ist nur Fassade. Im Grunde schreibst du es ja selbst, wenn Du es „eine stürmische Hymne auf den erhofften Neubeginn einer Beziehung und der damit einhergehenden Hoffnung“ nennst.

Ich glaube, wir liegen da gar nicht so weit auseinander. Deine letzten Sätze zeigen das ja auch schon. Ich sehe meine These eigentlich gerade in der Attitüde des Tracks gerechtfertigt. Die Verbindung der Emotionalität des Themas und der Gallagher’schen Arroganz macht für mich gerade den Reiz von Wonderwall aus. In dem Teil, der diese beiden Aspekte verknüpft, eben dem dann auch musikalisch zu entsprechen, wäre witzlos – ein musikalisches „Show and tell“ quasi. Ich halte Wonderwall wie du auch für einen Song, der die Begierde in den Mittelpunkt stellt, aber er rechtfertigt die Legitimität dieser über eine emotionale Verbindung, die in ihrer logischen Konsequenz nur als ein „auf sich gegenseitig angewiesen sein“ weiterzudenken ist. Dieses Eingeständnis ist natürlich auch, wie du es schreibst, „der […] Versuch jemand rumzukriegen“ (Die Einschätzung, dass es der letzte ist, teile ich nicht.), aber dieser Versuch geht ja trotzdem den Weg über die Abhängigkeit.

nail75Ich denke, es ist logisch, dass Künstler dieses Lied auch als traurigen Abgesang, als „Trennungslied“ interpretiert haben. Es gibt ja auch noch die Version von Ryan Adams, die noch düsterer und langsamer ist als die von Chan Marshall und die mir deutlich besser gefällt.

Ich kenne diese Version, finde sie aber sehr viel weniger berührend als die von Chan Marshall. Das liegt in erster Linie an ihrer Vortragsweise, aber auch an der Umarbeitung des Arrangements, aber das ist ja alles im Text ausgeführt. Die Einschätzung, dass Adams‘ Version düsterer sei, teile ich allerdings kein bisschen. Sie ist in sich gekehrt, vermittelt den emotionalen Kampf aber bei weitem nicht so intensiv. Ich würde sogar sagen: kaum.

nail75Ein kleiner Hinweis noch zu deinem Stil. Ich bin ein Freund einfacher Sprache. Dein Sprachstil ist sehr kompliziert mit vielen komplexen grammatikalischen Strukturen, verschachtelten, langen Sätze und Fremdwörtern. Die Grundaussage ist eigentlich nicht so schwer zu verstehen, aber du hast darum einen sehr langen Text gebaut, der einiges an Zeit benötigt, um verstanden zu werden.

Das alte Thema. Erstmal bin ich nicht der Meinung, dass mein Stil allzu abgehoben wäre, einige andere Rückmeldungen hier zeugen ja davon. Ich habe meinen Kopf nicht in den Wolken. Mir ist aber auch bewusst, dass ich sprachlich ein paar Fässer aufmache, die speziell im Alltagsjournalismus große Tabus sind; ich habe ja sogar die entsprechende Ausbildung durchlaufen und du kannst mir glauben, dass ich keinen Artikel in so einem Stil in eine nicht fachgerichtete Publikation setzen würde. Auch in so manche fachgerichtete nicht. Ich mache hier aber eben keinen Alltagsjournalismus. Die Texte auf meinem Blog sehe ich zu einem großen Teil eher als Essays denn als Rezensionen. (Davon ausgenommen sind die Kurzreviews, derer ich ja zwei auch hier gepostet habe. Vermutlich hättest du zu diesen keinen solchen Kommentar geschrieben.) Und bei einem solchen Text bin ich durchaus der Meinung, dass ihm eine etwas gehobenere Sprache als Stilmittel gut tun kann.

Das geht natürlich nur so weit, wie es das Verständnis nicht gefährdet, aber – wie gesagt – ich sehe das hier nicht wirklich gegeben. Man muss keinen Magister haben, um meine Texte zu verstehen, und ich weiß nicht, ob ich jemandem, der den Anspruch hat, alles so schnell wie möglich ins Kurzgedächtnis zu pressen, viel zu sagen habe. (Womit ich in der Blogosphäre natürlich alleine auf weiter Flur stehe, aber das habe ich von Anfang an mit einkalkuliert.)

Stormy MondayOoooch, nail, so schwer war das jetzt selbst für einen Blonden wie mich nicht zu lesen. Während die jeweilige Musik im Hintergrund lief ;-) Ich fand den Text gut, Jan. Mit Vergnügen gelesen.

Vielen Dank! :-)

Stormy MondayDas Original ist natürlich besser :lol:

Das ist natürlich die leidliche Frage, die mit jedem Original/Cover-Vergleich einhergeht. Mich berührt Cat Powers Version mehr, aber sämtlicher songschreiberischer Credit gebührt natürlich Noel Gallagher.

MikkoIch habe das auch gerne gelesen. Und ich hab’s auch verstanden. ;-)

Danke und Gratulation. ;-)

Mikko“Wonderwall“ war die erfolgreichste Oasis Single, was vermutlich ein Grund ist, dass der Song häufiger gecovert wurde. Kennst Du die Version von Mike Flowers Pops, Jan? Die war ja zumindest in England fast so erfolgreich wie das Original.

Die Version kannte ich noch nicht, habe das eben nachgeholt. Sehr interessant! Das komplette Gegenteil der Versionen von Cat Power oder auch Ryan Adams, weil die ohnehin eher subtile Introversion aus dem Track verbannt wird, aber auch die Kantigkeit seiner offensiven Attitüde weg ist. Ein bisschen ist es wie die Entproletarisierung der Gallaghers, aber ohne jeglichen intellektuellen Überbau an ihrer Stelle. Aus dem Grund wäre ein Pulp-Cover in ähnlichem Stile interessant.

MikkoIch finde trotzdem, um diesen Song wir zu viel Aufhebens gemacht.

Klar. Das Schicksal des erfolgreichsten Tracks. Die Band hat sehr viel besseres abgeliefert.

MikkoUnd Chan Marshalls Version von „Satisfaction“ finde ich viel bedeutender.

Die ist natürlich auch groß und bedient sich ähnlicher Mechanismen. Ich bin allgemein sehr begeistert von The Covers Record. Kann auch jedem, der ihre Wonderwall-Version mag, bedenkenlos empfohlen werden.

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