Re: Pop Crimes: Jan Lustiger denkt laut über Platten nach.

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David Bowie – The Next Day [2013]

„Here I am / not quite dying / my body left to rot in a hollow tree”

David Bowies 24. LP beginnt mit einer Szenerie, die in ihrem dystopischen Ausmaß bei gleichzeitiger Abgebrühtheit in einem Augenblick von Hoffnungslosigkeit auch von seiner achten (Diamond Dogs) hätte stammen können. Bowie ist jetzt 66, sein letztes Album, Reality, liegt zehn Jahre zurück und ist mit dem Attribut „vernachlässigbar“ noch recht gut bedient. The Next Day markiert also ganz ungeniert den Beginn für das, was man gemeinhin als „Alterswerk“ begreift.

Bowie tritt in diese oft paradoxerweise bei bemühter Aktualität nostalgisch verklärte Phase nicht leise ein, obgleich er sich das Charakteristikum der Selbstreflexion nicht vorenthalten lässt. Seine neue Platte geht nach vorne – in Form von offensiven Arrangements – und blickt nach hinten – in Form mehrerer Reminiszenzen an seine zahlreichen Schaffensphasen. Nostalgisch verklärend ist sie dabei jedoch nur einmal.

„I tell myself I don’t know who I am”

Zu einfach macht es sich, wer The Next Day angesichts seiner Selbstreferenzialität zum bloßen Recyclingswerk erklärt. Ausgerechnet Bowie, der in den Siebzigern durch seine ständigen Metamorphosen zum ersten Popstar avancierte, der die Postmoderne selbst zum greifbaren Gegenstand des Pop innerhalb seines Inszenierungsspektrums machte – einem Popstar, dessen einziger berechenbarer Aspekt seine Unberechenbarkeit war – sei zum Baukastenkünstler verkommen. Doch der Baukasten ist eben nicht nur der beste Freund des Retroästheten. Er war bereits der beste Freund von Ziggy Stardust und Aladdin Sane.

Ein Exkurs in die Vergangenheit: In den frühen Siebzigerjahren wurde David Bowie Teil der noch vor Punk ersten Bewegung, die die Historizität des Pop begriff und zum bewussten Stilmittel umformte, um sein Spielspektrum bei gleichzeitiger Brechung seiner bislang linear nachzuverfolgenden Entwicklung zu erweitern. Glam Rock griff zurück auf die Zeit, als sich der Rock noch nicht vom Pop emanzipiert hatte (Auch wenn es der Begriff nicht nahelegt: Rock’n’Roll war beides) und schließlich zum Selbstinszenierungsinstrument heteronormativer Männlichkeitsgebärden hässlichsten Ausmaßes mutiert war.

„I gaze in defeat“

Eine Verdeutlichung am Beispiel The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars: Bowies Magnum Opus ist ein Rock’n’Roll-Musical, das bewusst weg schritt vom Rockkonservativismus der längst nicht mehr progressiven 68er, sein Protagonist geschlechtslos und im Zusammenspiel mit seiner Band doch einer zusätzlichen homoerotischen Ästhetik unterzogen. Dies inszenierte Bowie – ähnlich wie seine Kollegen Roxy Music, Lou Reed oder wenig später die New York Dolls – mit offen zur Schau gestellter Referenzialität.

Die Geschichte erzählt von Ziggy (die Iggy Pop-Assoziation hat Bowie bewusst in Kauf genommen) und seiner Band, Rockstars aus dem All, in der Zeitspanne zwischen dem Weltuntergang und seiner Ankündigung fünf Jahre zuvor: ein apokalyptisches Szenario, das mit dem Wesen und der Funktionalität des Rockstars spielt. Da wäre Lady Stardust, das dem damaligen Star der Stunde Marc Bolan gewidmet ist, für Starman griff Bowie Judy Garlands Over the Rainbow aus dem Wizard of Oz auf und brachte so nicht nur einen sentimentalen Blick zum Horizont in den entsentimentalisierten Rock, sondern hob auch die Quelle selbst auf eine selbstkritische Ebene: Der Starman, sehnsüchtig herbeigewünschtes Objekt jenes Blickes, würde ja gerne zur Erde kommen, so verspricht er es uns, doch er tut es nicht, denn er hat Angst, uns damit zu überfordern.

„Stars are never sleeping…“

The Next Day ist eine Platte über das Danach, die Gegenwart in ihrer Funktion als Basis für ihre Reflexionen unweigerlich entgegen der Rückwärtsgewandtheitsvorwürfe ihr Schauplatz. Den Schlüssel dazu hält man bereits in der Hand, wenn man noch keinen Ton vom Album gehört hat: Das Cover ist das von Bowies 1977er LP „Heroes“, nur dass der Titel durchgestrichen wurde und in der Mitte ein großes Quadrat prangt, auf dem der neue Albumtitel zu lesen ist. Wir erinnern uns an den Titeltrack von „Heroes“: „We could be heroes / just for one day“. Dieser Tag ist vorüber. Es ist The Next Day. Angekommen im Jetzt, der Zeit, in der es keine Helden mehr geben kann.

„…the dead ones and the living“

41 Jahre nach Ziggy Stardust ist die Welt immer noch nicht untergegangen, hat aber auch noch nicht genug vom „doomsday song“, so Bowie in der ersten Selbstreferenz seines neuen Albums. Die Apokalypse mag vorbeigezogen sein, die Songs, die von ihr erzählen, werden es jedoch nie tun, so wie es die Stars, die aus dem Kiosk heraus auf uns herab grinsen, nie tun werden, weil sie uns zu nützlich sind, als Vergleichsebenen, als Mittel zum Alltagseskapismus, als Hoffnungsgeber und Quellen von Frust. „We will never be rid of these stars / but I hope they live forever“, so heißt es in The Stars (Are Out Tonight), dessen Titel einer Textzeile des Iggy Pop-Songs The Passenger entnommen ist, der vom Bowie-produzierten Album Lust for Life stammt (und das von Floria Sigismondi mit einem hervorragenden Video (featuring Bowie-Double Tilda Swinton) ausgestattet wurde).

Dieser Scheinwelt stehen destruktive Szenen gegenüber wie die eingangs erwähnte, die im Zeitalter nach dem ausgebliebenen Ende der Zeit zum Kunstgegenstand werden: „Listen to the whores, he tells her / He fashions paper sculptures of them“. Es ist eine Umgebung, die auf eine Apokalypse gewartet hat, die nie kam, und sich nun selbst nach und nach demontieren muss.

„The songs of dust / the world would end“

Eine Umgebung, die auf das baut, was (fast) jede Pop-Generation vereint. „In your darkest hour you’re 22“, singt Bowie auf Love Is Lost, und später „but your fear is as old as the world“. Eine Umgebung, die ihre Inhalte nicht geändert hat, aber ihre Rezeption von ihnen. Noch immer wird der Tanz zum transzendentalen Erlebnis stilisiert, werden Drogen genommen, Liebe gewonnen wie verloren. Verschwunden ist allerdings der Bezugspunkt, auf den all das ausgerichtet war: der Idealismus, festes Bestandteil des Pop bei Geburt und Taufe, zu Bowies Blütezeit zwar passiv von ihm und Gleichgesinnten verneint, aber durch die Subversion mit einem Ersatzobjekt versehen worden an diesem einen Tag, als wir Helden sein konnten. The next day… der hat noch nicht einmal mehr das. „Put on your red shoes and dance the blues“, sang Bowie 1983 noch auf Let’s Dance, eine Zeile, die Gegensätzlichkeiten vermischt, die aber immer noch als Gegensätzlichkeiten definiert sind. 2013 klingt das in If You Can See Me so: „I could wear your new blue shoes / I should wear your old red dress“. Während ihre Herkunft immer noch ersichtlich ist, sind die Bezugspunkte hier verwaschen.

„If you can see me I can see you“

Bowie könnte es sich nun leicht machen und als bloßer Beobachter oder – das Worst-Case-Szenario – moralische Instanz auftreten. Doch er vermeidet diesen Fehler, indem er sich auf seine alte Stärke, das Zitat, zurückberuft, und es aber nicht mehr nutzt, um ein Grundkonstrukt auf eine neue Ebene zu hieven, sondern um sich selbst in dieses Konstrukt einzuordnen. Zwar bietet The Next Day auch zahlreiche Anspielungen auf andere Größen der Popkultur, wie etwa Federico Fellini oder Joan Baez, doch er selbst ist die wahre Referenzgröße.

Immer wieder taucht seine Berlin-Zeit auf, die „songs of dust“ sind seine eigenen, genauer genommen die von den Alben Station to Station, Low und „Heroes“, sprich: der sogenannten Berlin-Trilogie. „Sexless and unaroused“ sind die von ihm besungenen Stars, ganz so wie es Ziggy Stardust war, und sie bieten falsche, aber unverzichtbare Hoffnung, wie es der Starman tat, von dem Ziggy sang. Ziggy Stardust war trotz seiner fiktiven Beschaffenheit zu einem Teil eben auch David Bowie, so wie in seinen anderen zahlreichen Alter Egos immer auch ihr Künstler steckte. „I tell myself I don’t know who I am“ singt er in Heat. Doch eigentlich weiß er es. Der Postmoderne sind die Tricks ausgegangen. Bowie weiß das, darum hat er dieses Album gemacht. Ein Album über Popkultur am Beispiel David Bowie; von David Bowie. Es greift Elemente seiner an Wendungen und Anknüpfungsmöglichkeiten nicht armen Karriere auf, doch geht es mit diesem Erbe spielend um – nicht rein reproduzierend.

„A man lost in time near KaDeWe / just walking the dead“

„Where are we now?“ ist die Frage, die Bowie im einzigen tatsächlich nostalgischen (und nicht einzigen durch musikalische wie textliche Plattitüden eher mittelmäßigen*) Song des Albums stellt und The Next Day gibt die Antwort. Wir sind immer noch irgendwo im Pop-Potpourri, das immer noch Affektträger und -erzeuger ist, aber doch nie zu den Sternen geführt hat. Doch auch wenn wir Ziggy Stardust damals auf dem letzten Track seines Album haben auf der Bühne sterben sehen und er uns nichts anderes als die Möglichkeit zur Selbstdemontage hinterließ, so ist die Vorstellung des Starman doch nie so ganz gestorben. And the stars are out tonight.

***½

*Es soll nicht gänzlich unerwähnt bleiben, dass Bowie auf sein neues Album zu viele Füller gepackt hat, es zu lang ist, und ein paar der Titel seltsam bedeutungslos an einem vorüberziehen. Da sich dieser Text aber auf andere Aspekte konzentrieren soll als diese, verweise ich hier auf die Videobesprechung Anthony Fantanos, der die Pros und Kontras auf diesem Gebiet gut erörtert.

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