Re: Spliff

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alberto

Registriert seit: 04.12.2007

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FriedrichAber noch mal zu Spliff: Bei Punk und New Wave ging es ja auch immer darum, die demonstrative technische Virtuosität und den großen technischen Apparat vieler Bands der 70er als überflüssigen Ballast über Bord zu werfen, zugunsten von kreativenm Dilettantismus. Der Nullpunkt des musikalischen Koordinatensystems wurde neu gesetzt. Die am meisten verhassten Bands waren Pink Floyd, Yes, Supertramp etc. ff. Gitarrensoli waren absolut igitt! und alles, was auch nur im entferntesten mit Jazzrock oder „Muckertum“ zu tun hatte oder mit 70er Jahre Deutschrock und hippiehaften weltverbessererischen Polittexten, wurde rigoros abgelehnt. Das muss man auch aus dieser Zeit heraus verstehen.

Und dann kommen so ein paar alte Polit-Deutschrocker daher, die selbst schon bei der rübergemachten ehemaligen Ost-Schlager Sirene Nina Hagen rausgeflogen waren, ziehen sich ein New Wave-Jäckchen über und kassieren damit ab? Spliff waren unzeitgemäß, grauenhaft altmodisch, sie gaben sich zwar modern, waren aber alles andere als das. Dass sie auf ein Publikum trafen, das genau so war, macht die Sache noch schlimmer. Da kann man keine Gnade walten lassen: Ausbuhen, mit Bierflaschen bewerfen und von der Bühne prügeln!

Das kann man doch so nicht stehen lassen!

Punk bzw. New Wave haben die Hippie-Ideale doch nicht abgelehnt, sondern nur bedauert, dass sie sich gesellschaftlich nicht durchgesetzt haben bzw. in wirtschaftlich schwieriger werdenden Zeiten keine Konjunktur mehr hatten. Postpunk ist oft in niedergehenden englischen Industriestädten entstanden. Die Betroffenen haben keine hippieferne Ellenbogengesellschaft herbeigesehnt, sondern durch ihre Musik nur das zum Ausdruck gebracht, was gerade passiert ist.

Die orthodoxen Spielregeln des Punk waren im Postpunk schon nicht mehr gültig. Wäre ein Album wie „Glut und Asche“ von den Fehlfarben unter dem Punkdiktat möglich gewesen? Die „echte“ NDW (Fehlfarben, DAF etc.) ist Postpunk, aber nicht Punk. Der „Nullpunkt des musikalischen Koordinatensystems“ war vor dem Auftauchen von Spliff schon wieder verlassen worden. Entsprechend waren „Muckertum“, Deutschrock und hippiehafte Polittexte schon wieder möglich. Dass Spliff auf ein Publikum traf, das genau so war, zeigt das ja auch.

Dass es innerhalb eines sich als „Szene“ begreifenden Mikrokosmos üblich war, Bands von der Bühne zu prügeln, betrifft Spliff nicht, da dieses Publikum kaum die Zielgruppe von Spliff gewesen sein dürfte.

Die Musiker sind bei Nina Hagen auch nicht deswegen rausgeflogen, weil sie zu schlecht waren, sondern weil sie der Dame die Schau gestohlen haben.

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