Re: Glenn Gould

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Irgendeine Liste bekomme ich bei Gould nicht zustande. Das liegt daran, dass ich mir sein „Genie“ so übersetze: er war der einzige Interpret, der in Brechts Suggestion „Vorschläge“ gemacht hat, und zwar zwingende. Vergleiche verflüchtigen sich, es gibt da für mich kein „die andere Einspielung ist aber besser“, dem hat er sich vollständig entzogen, zugleich mit dem Konzertsaal. Es gibt die Anderen, aber keinen Wettkampf. Auch das hat er gelehrt.

Ein Lehrer des Hörens, zugleich begnadet mit einem Gesang in der Stimme auf den Tasten, identisch mit Atmen, die kaum jemand so sehr in sich geschlossen, zusammengefügt hat, dass tatsächlich Offenes entsteht. Es ist eigentlich egal, ob er Klavier spielt, das ist nur ein Hilfsinstrument, das er zufällig gelernt hat – für Musik.

Er ist der Klavierspieler, der nachdenkt, bevor er losspielt, einen unheimlichen, romantischen Sinn für Ironie hat, und das Nachdenken und Spielen sind dasselbe, einmal mehr. Es ist egal, in diesem Sinn, was er spielt, wenn er alleine ist. In der Tat besonders gut zu hören in den mittleren Beethoven-Sonaten. Die sind alles andere als albern, keine modischen Dekonstruktionen, sondern Aufschlüsselungen. Das fünfte Klavierkonzert mit Stokowski ist hier auch großes Fest, noch mehr aber das erste, nicht mit Bernstein, das gibt es nicht, sondern mit Golschmann, der auch großartige Bachkonzerte mit Gould eingespielt hat. Das erste Klavierkonzert mit Gould und Golschmann und dem Columbia Symphony ist Referenz.

Alles andere verfließt oder schießt zusammen im individuellen Hören, bei den Klavierkonzerten immer wieder KV 491 von Mozart. Die Kadenz im ersten Satz bleibt unerreicht. Wie auch seine „Einsätze“ in Konzerten, hier, in KV 491, sind allenfalls noch Gieseking und Schnabel in der gleichen Tiefe, dem gleichen Ausloten des Gesangs, der schon in zwei Tönen liegt. Aber die linke Hand so herauszuspielen … und so Luft zum Atmen zu verschaffen, gelang bisher nur Gould, andere sind unbekannt.

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