Startseite › Foren › Fave Raves: Die definitiven Listen › „Sterne an“ – das nüchterne Bewertungsforum › Track by Track: Alben unter der Lupe › Bob Dylan – Tempest › Re: Bob Dylan – Tempest
Anonym
Registriert seit: 01.01.1970
Beiträge: 0
Das Problem an der Platte ist, dass sie 68 Minuten Spielzeit hat, also den Umfang einer Doppel-LP alten Stils – und allein 30 entfallen auf Scarlett Town, Tempest und Tin Angel. Und so muss ich das Phrasenschwein bemühen: Eine einzelne wäre besser gewesen. Das hätte zu mehr Konzentration, Destillation und selbstkritischer Qualitätskontrolle gezwungen, sowohl bei der Song-Auswahl als auch bei der Gestaltung der einzelnen Songs (da hätte sich der eine oder andere auch noch ordentlich straffen und verdichten lassen). So viele dermaßen lange Riemen hält, so vermute ich, kein Mensch aus, ohne die Nadel zu heben, die Skiptaste zu drücken oder den Faden zu verlieren. Aber natürlich sagt Tony Garnier da nicht zu Dylan: „Bob, mir ist langweilig!“ Fluch des großen Künstlers: Keiner klopft ihm auf die Finger, wenn er’s nicht selber macht. Soweit ich weiß, hat Cohen bei Halleluja Unmassen von Strophen geschrieben, aber dann in strengster Selbstbefragung die meisten wieder gestrichen oder als Varianten beiseite gelegt. Vor allem die Titanic-Nummer dagegen liest sich, als habe Dylan jede einzelne Strophe verbraten, die ihm da zugeflogen ist.
Ich finde die Platte aber sängerisch toll, fast will ich sagen: grandios. Vielfältig, abwechslungsreich, emotional differenziert, von zärtlich bis zynisch, von stoisch bis abgründig, von verletzlich bis knurrig (schon klar, ich weiß, das hören viele anders). Und mehrere Lieder respektive Aufnahmen auf dieser Platte verehre ich, zuvorderst Duquesne Whistle, Soon after Midnight und Pay in Blood.
--