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Anonym
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Wolfgang DoebelingVideoclips schienen anfangs eine gute Idee zu sein, als Visualisierung von Songs, und es gab auch eine ganze Menge durchaus gelungene (Beispiel: „Pontiac“ von Lyle Lovett). Doch begann sich das bald zu verselbständigen, wuchs sich zu einer eigenen Industrie aus, die Prioritäten verkehrten sich. Die Musik trat hinter ihre Promotion zurück, die Produktion des Clips verschlang ungleich mehr Geld und Aufmerksamkeit als die Produktion des zu bewerbenden Tracks, aus Musikhörern wurden Musikglotzer. Wer ein wenig Einblick bekommt in die Dynamik karriereplanender Maßnahmen der Musikindustrie, dürfte ob der dort waltenden profanen Zweckrationalität und des oft unverhohlen zur Schau gestellten Zynismus ziemlich ernüchtert sein. Und wer sich seine Freude an Musik bewahren möchte, tut gut daran, sich eben darauf zu konzentrieren, die Verwertungsmechanismen als solche zu erkennen und entsprechend geringzuschätzen. Bei mir kommt erschwerend hinzu, daß das Clip-Unwesen eine schlimme Allergie ausgelöst hat, gegen jede Art von Synchronhüpfen. Ein furchtbares Feature in zahllosen Clips, um die ich schon deshalb einen großen Bogen mache. Unterm Strich leidet die Musik eher durch die Übersetzung in laufende Bilder, weil sich Bilder unweigerlich einprägen und man sich nur schwer auf Musik einlassen kann, solange sie sich beim Hören aufdrängen. Eine Ablenkung auf jeden Fall. Es ist wie bei der Literaturverfilmung: hat man den Film gesehen, wird die Lektüre nicht mehr die eigene Fantasie so beflügeln können als ginge man völlig unbelastet von vorgegebenen Bildern an die Buchstaben heran. Images vor Imagination. Das mögen für die meisten Kulturkonsumenten müßige Gedanken sein in Zeiten von YouTube, ich spreche da nur für mich.
Ein sehr guter Beitrag, dem ich in allen Einzelheiten zustimmen möchte
Was mich an der „Videokultur“ besonders stört – möglicherweise, weil ich mit meinen 45 Jahren auch schon zu den Alten gehöre – sind vor allem zwei Dinge:
1) Die Bilder sind bei einigen Künstlern wichtiger als die Musik. Ich möchte behaupten, daß heute Erfolg (noch) viel mehr vom Aussehen des Künstlers abhängig ist als früher – Cass Elliot oder Janis Joplin hätten vielleicht keine Chance mehr bei der Plattenindustrie.
2) Über die Jahre hat sich eine gewisse Ästhetik der Videos entwickelt, zu der auch ca. 15 Bildchnitte in 10 Sekunden gehören. Diese Art der Darstellung wurde längst auch bei Konzert-DVDs und oft auch bei Fernsehbeiträgen (bevorzugt zu Kulturthemen) übernommen. Ich finde das lästig und anstrengend (und es ist auch unnatürlich. Ich schaue während eines Konzerts ja auch nicht ununterbrochen von einem Musiker zum anderen). Wie angenehm sind dagegen alte Aufnahmen wie z.B. von Van Morrison oder Weather Report in Montreux, wo die Kamera oft eine Minute oder länger in der gleichen Einstellung verbleibt.
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