Re: Ich höre gerade … Jazz!

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gypsy-tail-wind
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„Brilliant Corners“, Monks grossartiges Album mit Sonny Rollins und Max Roach, lasse ich hier mal weg, stattdessen als nächste Station Kenny Dorhams „Jazz Contrasts“ (Riverside, rec. Mai 1957) mit Rollins, Roach, Oscar Pettiford (der auch bei Monk dabei war und bei Rollins und Roach wieder auftauchen sollte, soulpope war grad da) sowie Hank Jones. Auf zwei Stücken setzt Rollins aus, dafür stösst Betty Glamann (nicht Glamman, wie die Keepnews Collection aber auch die Rollins-Box „The Freelance Years“ – wo die Stücke ohne Rollins fehlen – sie schreibt!) an der Harfe dazu. „I’ll Remember April“ hatte schon im Roach/Brown-Quintett eine erstklassige Behandlung erhalten, hier gibt es ein tolles kurzes Intro von Oscar Pettiford und dann präsentieren Dorham und Rollins im Wechsel das Thema, derweil die Rhythmusgruppe in jedem Chorus für ein paar Takte in einen Latin-Vamp fällt … das Tempo ist halsbrecherisch, doch Dorham legt ohne mit der Wimper zu zucken los. Was Roach alles bei der höllischen Geschwindkeit noch alles hinkriegt, macht ziemlich sprachlos … und Pettiford ebenfalls. Morrows Rolle im Quintett war es wohl, den Beat zu halten, den Boden zu geben – aber wenn einer das tut und dann noch mehr bringt, gibt das noch einen zusätzlichen Kick. Rollins klingt hier wie schon im öffnenden „Falling in Love with Love“ – die beiden langen Stücke füllten die erste Seite des Albums – etwas zögerlich. Er hebt nicht sofort ab, setzt immer wieder neu an, lässt sich viel Zeit – was durchaus faszinierend zu hören ist. Nicht immer ist alles gleich da, manchmal braucht es seine Zeit, und Rollins lässt sie sich (ganz so, wie Lee Konitz oder ein paar der grossen Chicagoer – Roscoe Mitchell etwa – sich auch die Zeit nehmen konnten, bis da da war – wenn da nicht da ist, kann man es eben nicht erzwingen, Jazz ist immer auch Arbeit, mit den Fingern, mit der Lunge und wenn man ihn so spielt wie Rollins, auch mit dem Geist). Sehr toll dann aber wieder das Schlagzeugsolo von Roach, teils mit Begleitung von Oscar Pettiford – etwas, was man in Zukunft bei Roach öfter hören sollte).

Die Idee hinter den Harfenstücken verstehe ich nur so halb … aber gut, „Larue“ ist schon sehr hübsch, klingt zwar gar arg nach „What’s New“, aber Dorhams Ton ist spitze und passt recht gut mit der Harfe, die gegen Ende des Solos, als es zwar rhythmisch ein wenig holprig wird, single notes zupft, bevor die zum abschliessenden Thema wir in klischierte Arpeggien fällt. In „My Old Flame“ gibt es dann Rollins und Harfe, im kurzen „But Beautiful“ nochmal Harfen-Arpeggios ohne Rollins, und dann zum Abschluss folgt noch das rasante „La Villa“, wieder im Quintett mit Rollins und ohne Harfe. Und in „My Old Flame“ ist Rollins phantastisch – klingt zwar immer noch leicht detaché, aber sein Solo hat es in sich, gemeisselte Phrasen mit klug gesetzten Pausen, dann ein Growl … und dazwischen die Phrase, die vermutlich Coltrane zu „Like Sonny“ inspiriert haben dürfte (habe ich – 3:23-3:32 – gerade zum ersten Mal wahrgenommen, keine Ahnung, ob das Motiv bei Rollins sonst noch öfter auftaucht, mir fiel es bisher nie auf).

Weiter geht es jetzt mit mit den nächsten Roach-Sessions für Mercury (nach Abbey Lincoln steht mir der Sinn ja eher selten, „That’s Him!“, das in der Freelance Years-Box von Rollins enthalten ist, wird also übersprungen). Im März 1957 entstand der Grossteil von „Jazz in 3/4 Time“, das wie der Titel andeutet, dem Dreier-Takt gewidmet ist – damals noch selten gespielt, Brubecks rhythmische Innovationen standen auch erst bevor. Auf „Sonny Rollins Plus 4“ gab es ja bereits „Valse Hot“, das hier in einer neuen Einspielung zu hören ist, auch „The Most Beautiful Girl in the World“ hatte Sonny Rollins bereits 1956 für „Tenor Madness“ eingespielt. Es fand sich auch auf dem Roach-Album, entstand aber im Rahmen der „Max Roach + 4“-Sessions.

Drei Stücke von den drei Sessions im März 1957 (übrigens mit Billy Wallace am Piano und gemäss diesem in LA aufgenommen, als die Band auf Tour war) landeten später auf einem Japan-Album („Max Roach + 4 & More“), zusammen mit der ganze ersten Session mit Hank Mobley am Saxophon, eine Stück von seiner zweiten (deren Rest auf „Max Roach 4 Plays Charlie Parker“ landete) und „Deeds Not Words“ vom Newport-Konzert von 1958 (der Track gab dann Roachs Riverside-Album vom September 1958 den Namen). Die Mono- und Stereo-Versionen von „3/4 Time“ wichen übrigens ab (mono: 6 Stücke, inkl. gekürzte Version von „Lover“; stereo: komplettes „Lover“ aber ohne „Blues Waltz“ und „The Most Beautiful Girl in the World“). „Valse Hot“ ist hier das Kernstück, es dauert über 14 Minuten – so lange wie bisher mit Abstand keine Roach-Aufnahme im Studio gedauert hatte.

Im Dezember fanden in New York die nächsten zwei Sessions statt, wie erwähnt mit Hank Mobley und diesmal ohne Klavier, aus „Max Roach + 4“ war „Max Roach 4“ geworden. Die erste Session erschien wie gesagt erst später in Japan, von der zweiten landeten drei der vier Stücke auf dem Album „Max Roach 4 Plays Charlie Parker“, das vierte auf der Japan-LP (und zwei der drei veröffentlichten kamen in mono mit gekürzten Drum-Intros daher).

Fertig gestellt wurde die LP erst im April 1958, als die Band sich wieder verändert hatte: Dorham war weiterhin dabei, aber an Mobley Stelle spielte nun George Coleman und Nelson Boyd (wie es scheint der Widmungsträger von Miles Davis‘ „Half Nelson“). Erst im Sommer 1958 fand Roach in Art Davis seinen neuen kongenialen Bass-Partner (der zudem dem Vorgänger Morrow und auch dem zweitweiligen Ersatz Bob Boswell weit überlegen war).

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