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Zurück zur Musik!
gypsy tail windDie (Anmerkung: Kenny Burrell – God Bless The Child) mag ich ja bekanntlich auch sehr gerne!
Dieser Richard Wyands übrigens ist eines der Talente, das in der damaligen Schwemme, Ende der Fünfziger, etwas unterging … Jahrgang 1928 und aus San Francisco ging er nach New York, nahm an einigen wundervollen Aufnahmesessions teil, etwa „Jug“ von Gene Ammons (mit dem er mehrmals aufnahm, aber „Jug“ ist für mich Ammons-Top-3 oder 5), er gehörte zur Combo von Gigi Gryce mit Richard Williams (ein feines Quintett, dem es als Ganzes so ähnlich erging wie Wyands, Williams und Gryce als einzelnen), dann sprang er für Horace Parlan bei Mingus ein und war dabei, als „Mingus in Wonderland“ eingespielt wurde, das erste Album mit der neuen Frontline John Handy/Booker Ervin … und bei Prestige nahm er mit Oliver Nelson auf, bzw. mit Nelson und Eric Dolphy, auf „Screamin‘ the Blues“ (da ist auch Richard Williams dabei, der übrigens einer von Mingus‘ Lieblingstrompetern war, aber leider nie angemessen mit Mingus aufgenommen hat, auch wenn er da und dort auftaucht) und „Straight Ahead“ (und ich finde letzteres wohl tatsächlich eine Spur besser als das viel bekanntere „The Blues and the Abstract Truth“). Und mit Nelson war er auch dabei, als dieser für Eddie „Lockjaw“ Davis das Big Band-Album „Trane Whistle“ arrangierte (Dolphy sitzt dort anonym auch in der Band, Roy Haynes war für all diese Nelson/Dolphy-Prestige-Sessions ein weiterer sicherer Wert, der immer gute Arbeit lieferte). Wyans ist auch auf Alben von Willis Jackson, Frank Foster, Roland Kirk oder Etta Jones zu hören, am ausgiebigsten kommt er jedoch auf einem Piano-Trio-Album unter Roy Haynes‘ Leitung zum Zuge, „Just Us“ (:wave: soulpope, Kopp ausgekühlt, wo bleibt der Thread? ;-)).
In den späten 60ern und frühen 70ern spielte Wyands dann regelmässig mit Kenny Burrell – und taucht wohl daher dann auch auf Freddie Hubbards „First Light“ auf.
Aufnahmen als Leader konnte er allerdings erst ab den späten 70ern machen, und fast nur für europäische bzw. japanische Label wie Storyville, Criss Cross, DIW … das erste von 1978, „Then, Here and Now“ (Jazzcraft bzw. dann eben Storyville) ist sehr zu empfehlen, ein Trio-Album mit dem tollen Lisle Atkinson am Bass sowie Drummer David Lee. Es ist auch auf einer Doppel-CD gepaart mit dem Jazzcraft-Album von Hugh Lawson (dem Pianisten, der in den Fünfzigern mit Yusef Lateef gespielt hat) wieder greifbar, das ebenfalls hübsch ist (aber das von Wyands gefällt mir besser).
Wow! Das nenne ich eine ausführliche Antwort!
Edit: Gene Ammons, Mingus, Freddie Hubbard, Dolphy etc: alles hoch geschätzte Namen. Wenn Du sagst Jug ist unter Deiner Gene Ammons Top 5, was wäre denn ein Anwärter auf die Top 1?
Kenny Burrell – God Bless The Child gefällt mir immer besser. Gestern zwei mal gehört, heute noch einmal. Die Platte ist für CTI-Verhältnisse fast unterproduziert. Das E-Piano und die Streicher, die aber recht zurückhaltend, manchmal bloß am Anfang oder am Ende eines Stückes: das sind hier eigentlich die einzigen typischen Creed Taylor Zutaten. Mal abgesehen davon, dass die Platte sehr sorgfältig und mit schönem Klang aufgenommen wurde.
Eine filigrane, feine und lyrische Geschichte und – ich wiederhole mich, ich weiß – ausgerechnet die sehr sparsam, e-Piano- und streicherlosen Bonustracks, allen voran der alternate take von A Child Is Born sind ganz wunderbar.
Leider gibt es von der Platte im Netz nichts zu hören. Ersatzweise habe ich eine Aufnahme des Stücks A Child Is Born mit Bill Evans und Kenny Burrell Live in Montreux 1978 anzubieten. Noch ein Gedicht!
Edit: Ich will nicht verschweigen, dass es auch flottere und zupackendere Momente auf God Bless The Child gibt. Aber die lyrischen Momente heben die Platte für mich heraus.
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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.” (From the movie Sinners by Ryan Coogler)