Re: Ich höre gerade … Jazz!

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gypsy-tail-wind
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Ich finde die Frage an sich nicht so interessant – es ist einfach eine verdammt gute, atmosphärisch stimmige und von der Konkurrenz der beiden Sonnys profitierende Scheibe. Man könnte wohl so sagen: Im engeren Sinn nicht, es fehlt dazu die Dichte, die rhythmische Intensität, das insistierende Phrasieren mit den typischen Enden, die dann Raum für einen Miniaturkommentar der Drummers lassen (der auch sonst dauernd „bombs“ fallen lässt, ruppige Einwürfe, wie sie einen an fliessende Rhythmen gewohnten Swingmusiker durchaus durcheinander bringen könnten), es fehlt auch an Dichte im Klavier (und da wohl auch an „schlauen“ Akkordsubstitutionen und irgendwelchen „Tricks“). Charli Persip kam ein paar Jahre früher ganz jung zu Dizzy und war sicherlich kein Bebopper, auch kein eigentlicher Hardbopper würde ich sagen, auch dazu ist er irgendwie zu entspannt, die Bryants dann … bei Ray gehen die Wurzeln soweit zurück, dass man wohl sagen muss, dass er an sich nicht mal wirklich ein Modern Jazzer ist, eher einer, der sich ins grosse Jazzpiano-Kontinuum einreiht (in dem ja schliesslich mit Art Tatum der Parnass lang vor dem Bebop erreicht war und mit Earl Hines, Fats Waller und anderen eine ganze Menge Musiker am Werke war, die zwar nicht dasselbe mit Akkorden – und Rhythmen – anstellten wie die Bebopper, aber in ihrem harmonischen Verständnis wohl den allermeisten Bläsern des traditionellen Jazz und des Swing weit voraus waren). Bryant hat viel aufgenommen aber vergleichsweise wenige „Klassiker“ hinterlassen. „Alone with the Blues“ und „Ray Bryant Trio“ auf Prestige kann ich aber vorbehaltlos empfehlen (die müsste es auch als OJC LP geben). Tongue in cheek könnte man sagen: dafür ist Tommy Bryant ein klassischer Bebop-Bassist: langweilig, unauffällig bis an die Grenze des Öden, ein Metronom … aber etwas besser ist er schon, dennoch: der Bass hinkte im Bebop und in vielen Fällen bis weit in die Fünfziger der Entwicklung hintendrein, New Orleans- und Swing-Bassisten wie Wellman Braud, Pops Foster, Jimmie Blanton, Junior Raglin oder Walter Page hatten mehr drauf als die meisten Bassisten, die auf den klassischen Bebop-Aufnahmen zu hören sind (Ausnahmen: Mingus, Ray Brown, Al McKibbon, etwas später Percy Heath … und natürlich Oscar Pettiford, der aber selbst auch noch in die Swing-Ära zurückgeht und bei Ellington spielte – kann sein, dass ich hier jemanden vergesse, aber um das klarzustellen: nicht Tommy Potter, nicht Curly Russell – dass letzterer auch noch auf ein paar Blue Note-Alben der mittleren Fünfziger zu hören ist, halte ich für eine personelle Fehlentscheidung Alfred Lions – wie auf den Sessions mit Parker macht er seinen Job solide, aber nicht mehr denn das – aber ich höre schon beinah soulpopes Einwand, was Potter betrifft ;-)).

Zu den Bläsern ist wohl zu sagen, dass Dizzy zeitlebens ein Bebopper blieb, Stitt ebenso. Er bewegte sich zwar später auch problemlos in Souljazz-Gefilden, aber sein Saxophonspiel blieb eigentlich immer gänzlich dem Bebop verhaftet – was nun in beiden Fällen nichts schlechtes heisst, beide boten wenn sie in Form waren ein Feuerwerk, wie es nicht viele Musiker zu bieten hatten und haben. Bei Rollins liegt der Fall anders – man könnte wohl auch die Bud Powell-Session mit Navarro und ihm (und Roy Haynes!) von 1949 als erste Hardbop-Session bezeichnen, wenigstens was die entspanntere rhythmische Gangart betriff. wobei „entspannt“ irreführend sein kann, denn die Hardbop-Rhythmusgruppen kicken ja eher noch mehr und härter – aber der rhythmische Drive ist ein anderer, das ganze Time-Feel geht ist mehr laid-back, man ist quasi cooler, lehnt sich auch mal nach hinten – lässt den Bassisten den Karren ziehen – und macht quasi Druck mit Verspätung und mit geschicktem Einsatz von Ausspaarungen und einer mehr auf Kontraste angelegten Dramaturgie. So gesehen würde ich z.B. Roy Haynes eigentlich auch als Bebopper, zeitlebens, sehen, weil er dieses andere Time-Feel nicht hatte, aber ich kenne aus den letzten Jahrzehnten zuwenig von ihm, um an dieser Aussage mit Gewissheit festhalten zu können. Max Roach hat sich gewandelt, aber ein Hardbop-Drummer im engeren Sinne war auch er wohl nie, obgleich er auf ein paar grossen Hardbop-Klassikern zu hören ist, einen davon hast Du Dir ja heute reingezogen – übrigens einen mit vorzüglichem Bass-Spiel des nach meinem Empfinden masslos unterschätzten Doug Watkins … hätte ich die Wahl zwischen Chambers und ihm gehabt, er hätte IMMER den Vorzug gekriegt!

Du merkst, es gibt keine einfache Antwort – bzw. die könnte „ja“ oder auch „nein“ lauten, das Faszinierende sind wie immer die Zwischentöne, die Übergänge, die Überschneidungen, die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.

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