Re: Ich höre gerade … Jazz!

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Und noch eins von Horace Silver, eins meiner ersten, das fast dieselbe Band präsentiert wie der Vorgänger: im Sommer 1957 hatten Silver und Max Roach ihre Tenorsaxophonisten getauscht. Mobley ging zum Drummer, dafür stiess Clifford Jordan zur Band Silvers – und überzeugt schon hier, im Januar 1958, mit seinem tollen Ton.

Das Album präsentiert erneut sehr gute Stücke, die dieses Mal auch formal recht aussergewöhnlich sind. Der eingängie Opener „The Outlaw“ besteht aus einem 13-taktigen A-Teil, der wiederholt wird, dann folgt eine 10-taktige „Bridge“, gefolgt von 16 Takten Vamp und schliesslich zwei Takten Break, die Cliff (wie man ihn damals meist zu nennen schien) Jordan lancieren. Dennoch ein sehr eingängiger Groove!

„Melancholy Mood“ ist wie der Titel vermuten lässt eins von Silvers langsamen Stücken. Eines, dem etwas Geheimnisvolles innewohnt. Die Ballade beruht komplett auf 7-taktigen Phrasen, den ersten Chorus spielt Silver begleitet nur vom gestrichenen Bass Teddy Koticks, dann stösst auch Schlagzeuger Louis Hayes dazu und Kotick legt den Bogen weg.

„Pyramid“ ist das dritte Stück, ein ebenfalls leicht melancholisches Thema in Moll in konventionellerer Form, das aber von der Rhythmusgruppe punktuiert wird und mit Latin-Beats arbeitet.

„Moon Rays“ ist eine von Silvers typischen „walking ballads“, etwas schneller gespielt als bei Balladen üblich, raffiniert für die Bläser arrangiert. Zu Hayes‘ Beat zitiert Leonard Feather in den Liner Notes Silver: „Do you notice what the drums played here? … Have you ever dug Tito Puente or Machito when they play a ballad – that little tick-tick-tick-tick thing that they keep going on the timbales? I don’t know what you call it, but it’s a special Latin effect and we thought it would fit this number.“ Am Ende gibt

„Safari“ schliesslich ist ein Bop-Thema, das Silver schon 1952 im Trio eingespielt hatte – es stammt aus der Zeit noch vor seinem Umzug nach New York und wird in unglaublich schnellem Tempo dargeboten. Clifford Jordan glänzt und auch Louis Hayes kriegt ein paar Takte.

Den Abschluss macht Harold Arlens „Ill Wind“ – damit endet dritte Blue Note-Album in Folge mit einem Standard, dem Silver allerdings ein raffiniertes Arrangement verpasste. Überhaupt sind die Arrangements klasse, sorgen stets für Abwechslung und sind massgeblich an dem Paradox beteiligt, dass Silver zugleich, wie Michael Cuscuna in den Liner Notes zur CD unten schreibt, „one of the most meticulous and organized musicians in modern jazz and yet one of the funkiest“ sei. Sein Ordnungssinn, die vielen Ideen, mit denen er die Stücke abwechslungsreich ausgestaltet – von kleinen Fixpunkten der Rhythmusgruppe bis zu ausgewachsenen Shout-Chorussen alter Schule (wie im oben erwähnten „Soulville“) – schmälern nie die Leidenschaft und schränken nie den Funk von Silvers Musik ein. Er hält perfekt die Balance zwischen völlig bodenständiger, erdiger Musik und einer beeindruckenden Eleganz.

Mit 50 Jahren Verspätung brachte Blue Note 2008 diesen Mitschnitt von Silvers Combo am Newport Jazz Festival von 1958 heraus – die Gruppe ist im Umbruch auf dem Weg zum klassischen Silver Quintet der kommenden Jahre: Junior Cook und Gene Taylor haben Jordan und Kotick abgelöst, Hayes sollte noch eine Weile bleiben (Roy Brooks löste ihn 1960 ab), an der Trompete hören wir einen viel zu wenig bekannten Mann, Louis Smith, der damals auch zwei Blue Note-Alben als Leader einspielte und mit Kenny Burrell als Sideman aufnahm – Cook ist bei Burrell ebenfalls dabei („Blue Lights“), Cannonball Adderley ist auf dem ersten der Partner und tritt unter dem tollen nom de plume „Buckshot La Funke“ auf, der uns Kindern der Neunziger leicht verändert von Branford Marsalis bestens vertraut ist. Jones‘ Ton ist fett, gross, erinnert vielleicht ein wenig an Lee Morgan (auf dessen ersten zwei Blue Note-Alben Silver wiederum zu hören ist).

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