Re: Ich höre gerade … Jazz!

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gypsy-tail-wind
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vorgartenbitte schreib noch kurz was zu den pieranunzi/higgins/(baker)-alben, ich kann mir gar nicht vorstellen, was man darauf hören kann…

Nun, das mit Baker ist nicht sehr gut … aber es ist doch faszinierend, ihn mit dem wunderschönen Thema von Hadens „Silence“ zu hören. Pieranunzi spielt kantiger als ich ihn sonst wahrgenommen habe (seine Soul Note-Box lief bisher einmal am Stück durch, ohne dass mich allzu viel davon gepackt hätte, bloss das Trio mit Marc Johnson/Joey Baron auf „Deep Down“ überzeugte mich auf Anhieb, manches von ihm ist mir zu leicht, zu glatt – aber das ist vermutlich ein unfaires und gewiss kein auf viel Erfahrung beruhendes Urteil), Higgins hält sich sehr zurück, Haden ist Kern, Herz und Seele der Musik, Chet ihr Geist (ein guter, ein böser?), sein Ton klingt fast hohl, stellenweise kommt er merklich zu spät, spricht nicht wie erhofft an – und „My Funny Valentine“ ist grässlich, er trifft kaum einen Ton, nachdem er an der Trompete noch für die damaligen Verhältnisse fast souverän eröffnet hat – your sounds are laughable – und dast ist noch nett gesagt. In „‚Round Midnight“ klingt Baker dann wieder recht gut, auch wenn er im Thema viele Abkürzungen nehmen muss (Monk hätte gewütet … an Monk muss ich hier bei Pieranunzi ein paar mal denken). Aber das macht irgendwie alles nichts, denn am Ende ist dunkle, faszinierende Musik zu hören, die mich durchaus packt. Ein wenig klingt das hier nach Quartet West mit anderen Vorzeichen. Musik für die Nacht, Musik die etwas Dunkles und dennoch sehr Warmes hat, viel Ordnung, aber auch einen gewisse Offenheit zulassen kann – wäre Baker (ein halbes Jahr vor seinem Ableben) besser drauf gewesen, hätte daraus eine wirklich grosse Sache werden können, glaube ich.

Im Trio ändert sich das Setting, Haden ist nicht mehr der zentrale Rhapsode, Pieranunzi wird wichtiger im Ganzen (während er im Quartett eher in seinen Soli hervortritt, dünkt mich, als das Ganze zu prägen). Die Musik ist rascher, beweglicher, weniger brüchig, aber irgendwie auch zickiger, vielschichtiger. Haden und Pieranunzi sind beides Rhapsoden, Lyriker, aber sie kommen aus sehr unterschiedlichen Welten und ich finde es recht spannend zu hören, wie sie zusammenfinden. Higgins spielt nach wie vor sehr zurückhaltend, unterstützt – auch hier oft mit Besen (was ich toll finde, wenn einer das im Griff hat wie er) und sehr leise, fein akzentuierend. Ein wahres Trio wird daraus so allerdings nicht, der Dialog verläuft zwischen Pieranunzi und Haden. Das Repertoire besteht aus Stücken von Haden (First Song, For Turiya, In the Moment), Pieranunzi (Je ne sais qoui und das zickig-dreckige Newsbreak), dazu kommen Parkers „Si Si“, Tristanos „Lennie’s Pennies“ und zwei Standards, die man nicht mehr oft zu hören kriegt, „Polka Dots and Moonbeams“ und ein wunderschönes „All the Way“.

Mir gefallen beide Alben, beide mit einigen Vorbehalten, Essentials sind sie beide nicht, denke ich (in Pieranunzis riesigem Werk finde ich es aber auch nicht einfach, diese aufzuspüren, so es sie denn gibt, „Deep Down“ ist wohl das Album, das für mich am ehesten dahinkommt). Aber ob das etwas für Dich ist, weiss ich ehrlich gesagt schwer einzuschätzen – vielleicht kannst Du das mit meinen Kommentaren etwas besser.

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