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Ich bleibe ein wenig bei Giuffre … die CD enthält zwei kurze Sets mit zwei unterschiedlichen Trios. 1960 ist Giuffre mit Jim Hall zu hören, gegen Ende der Lebensdauer des ersten Trios, zurück in der Besetzung mit Bass (dazwischen wurde der mal von Bob Brookmeyers Ventilposaune abgelöst), Wilfred Middlebrooks ist zu hören (nach Brookmeyer und vor Middlebrooks waren auch Red Mitchell, Buddy Clark und Ray Brown im Trio mit Giuffre und Hall zu hören). Zum Auftakt spielt Giuffre „The Boy Next Door“ am Tenor – und irgendwie ist klar, dass er kurz davor steht, die Richtung zu ändern, auszubrechen. Sein Ton ist klasse, sehr eigenwillig, breit, flächig, zittrig-nervös aber irgendwie und dennoch selbstsicher … der Mann ist ja auch aus Dallas und Pres hin oder her, das prägt wohl einfach und etwas vom swagger der Texas Tenors ist da durchaus zu hören. Giuffre scheint dem Format jedoch entwachsen zu sein.
In „Mack the Knife“, mit neun Minuten noch länger als der Opener, ist Giuffre dann an der Klarinette zu hören, er fügt sich hier besser ein in das Konzept, aber irgendwie wirkt das alles ein wenig routiniert. Das ist in „My Funny Valentine“ nicht anders. Zum Abschluss ist noch „Two for Tumbuktoo“ zu hören, da greift Giuffre wieder zum Tenorsaxophon.
Die zweite Hälfte stammt dann von 1965 – da ging wohl bereits die nächste Epoche zu Ende, das Trio besteht zwar immer noch aus Giuffre mit Piano und Bass, aber statt Bley und Swallow sind hier Don Friedman und Barre Phillips zu hören – zwei sehr würdige Nachfolger, die diese CD mich erst recht besonders machen. Von diesem Trio sind fast 40 Minuten zu hören, fünf Stücke: „Drive“, „Cry, Want“, „Cross Roads“, „Syncopate“ und „Ictus“, das letzte von Carla Bley, das drite von Ornette Coleman, die anderen von Giuffre. Giuffre spielt auch hier wieder dieses eigenwillig auskragende Tenor, es kommen auch Überblastechniken hinzu und der Rahmen, ein Klavier, dass offene Akkorde tupft und ein Bass, der mal rennt und dann wieder ganz verstummt, um sich mit wenigen tiefen Tönen zurückzumelden, dieser Rahmen stimmt hier mit Giuffres Spiel wieder völlig überein. Ich will bald wieder zu den klassischen Giuffre 3 mit Bley/Swallow von 1961/62 gehen – aber das hier scheint mir etwas zupackender und um ein paar Facetten reicher, weil Giuffre eben neben der Klarinette auch wieder zu den Saxophonen greift (und hier neben dem Tenor, das beantwortet meine Frage wohl, vermutlich zum ersten Mal auch zum Sopran). Das Klavier, das Don Friedman zu spielen hat, ist ein ganz schreckliches Instrument, manche Töne scheppern so sehr, dass die nur zu erahnen sind, aber das hält die drei nicht auf. Nach dem Opener greift Giuffre für „Cry, Want“ zur Klarinette und die Musik ist streckenweise sehr abstrakt, scheint fast stillzustehen – sehr faszinierend und absolut auf dem Niveau des Giuffre/Bley/Swallow-Trios. Im Ornette-Stück wird zupackender musiziert, trotz des fehldenden Schlagzeugs hat die Musik etwas sehr Perkussives, sie drängt und stockt und drängt wieder. Giuffre spielt weiterhin Klarinette, während er für „Syncopate“ wieder zum Tenor greift. Friedman spielt hier eine dichte Begleitung, Phillips steigt immer wieder mit rasenden Läufen ein und macht dann wieder länger Pause, während Giuffre mit diesem breiten Ton einfache, repetitive Muster spielt – und vom konservativen Pariser Publikum ausgepfifen wird (was eigentlich fast schon eine Art Gütesiegel ist … es gibt auch die Gegenbewegung des Spontanapplauses mittendrin – auch das war ja schon so, als Coltrane im März 1960 mit Miles in Paris spielte, George Russell erging es 1964 ebenso). Im letzten Stück, Giuffre noch immer am Tenor, scheint das Publikum anfänglich beruhigt den kantigen Linien zu folgen, aber sobald Giuffre mit multiphonics und unkonventionellen Spieltechniken loslegt, geht das Gebuhe und Gejohle und Gepfeife wieder los … Alles in allem ein durch und durch faszinierendes Konzert, auch wenn das Publikum das damals wohl zu weiten Teilen nicht begriff.
Friedman übrigens … da könnte ich nach Bley mal weitermachen, ein Pianist, über den man viel zu wenig hört, aber ein sehr toller Musiker!
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